ReformpädagogInnen
A - B - C - D - E - F - G - H - I - J - K - L - M - N - O - P - Q - R - Sch - S - T - U - W - X, Y - ZFeuerrede auf dem Hohen Meißner
gehalten von Knud Ahlborn am 13. 4. 1913Aus allen Gauen und darüber hinaus, aus den Schweizer Alpen und dem deutschen Österreich sind wir heute hier auf dem Hohen Meißner zusammengekommen. Da ist wohl keiner unter uns, der nicht auf die Vorahnung eines großen Erlebens mit zu dieser Höhe hinaufgetragen hätte. In der Zeit der Erinnerung an den Befreiungskampf vor hundert jahren wollen wir Freideutsche Jugend ein Fest feiern, um, der Gegenwart zugewandt, im Gelöbnis der Tat, unsere Liebe zum Vaterland zu bekunden. (...) Klar und unzweideutig sind die Grundsätze, auf die sich die Freideutsche Jugend geeinigt hat: nach eigener Bestimmung, vor eigener Verantwortlichkeit, in innerer Wahrhaftigkeit ihr Leben zu gestalten und für diese innere Freiheit unter allen Umständen geschlossen einzutreten. Also keine Festlegung auf ein bestimmtes Parteiprogramm, sondern ein über alles Gegensätzliche einzelner Anschauungen hinwegschreitendes Bekenntnis zu dem Streben nach Wahrhaftigkeit und dem Leben im Einklang mit ihr.
Und wenn dieser Freideutsche Jugendtag gar keine andere Frucht getragen hätte als diese aus dem heißesten Kampfe der Meinungen plötzlich so wunderbar entstandene innere Toleranz, die auch den Gegner unserer eigenen Anschauung, einfach weil er ein Wahrheitssuchender ist, anerkennt und ehrt, so könnten wir schon aufs Höchste erfreut sein. Man denke sich nur an die Stelle des gehässigen Parteikampfes, durch den immer wieder aufs Neue die innere Einheit unseres Volkes zerrissen wird, eine von innerem Streben nach Wahrhaftigkeit getragene Parteienverständigung, bei der sich die sachlichen Gegner immer die Begrenztheit der eigenen Einsicht vor Augen halten und darüber sich keinem Zweifel hingeben, dass es auf dieser Welt gar nicht unbedingt Richtiges gibt.
Aber diese Tagung hat uns noch etwas viel Köstlicheres gebracht, als sich mit Hilfe nüchternen Verstandes übermitteln ließe. Wir erlebten unsere innere Zusammengehö,rigkeit als ein Kreis von Menschen, die von dem Gefühl der Verantwortlichkeit gegen sich selbst und gegen ihre Mitmenschen durchdrungen sind und die, trotz unendlich ernster Aufgaben, die ihnen allen vor Augen stehen, mit einer Gelassenheit und einem Frohsinn sondergeichen dem Leben gegenübertreten. Diese heitere Ruhe, die wir uns immer als höchstes Gut bewahren wollen, verdanken wir unserem Leben in und mit der Natur. Dort erwuchs uns das unbetrügliche Gefühl für das Gesunde und Echte, dort erfüllte uns der Mut zum Gesunden und Echten, zur inneren Wahrhaftigkeit, und dort auch blickten wir zuerst jenem Unendlichen ins Auge, dessen Anblick uns von aller äußeren menschenabhängigkeit und von aller inneren Selbstüberhebung befreit.
Und darum sind wir auch heute hinausgegangen in die Natur, um auf einem hohen Berge unter dem weiten Himmelsdom an einem freien lodernden Feuer dieses Fest der Sammlung und Erinnerung zu feiern.
Quelle: Anderson, Erich R. (Hrsg.)[2009]: Volkshochschule im Dünensand - Ahlborn Familienspuren, S. 147