{cssfile}
Registrierung Mitgliederliste Administratoren und Moderatoren Suche Häufig gestellte Fragen Zur Startseite  

PAED.COM » Suche » Suchergebnis » Hallo Gast [anmelden|registrieren]
Zeige Themen 1 bis 4 von 4 Treffern
Autor Beitrag
Thema: Offener Unterricht mit Methode - Diskussion mit M. Kellner
Michael Kellner

Antworten: 13
Hits: 37807

12.04.2009 21:21 Forum: offener Unterricht

Lieber Herr Göndör,
vielen Dank erst einmal für die zusammenfassende Darstellung der bisherigen Kernpunkte dieser Diskussion.

Sie stellen weitere Fragen bezüglich des Konzepts "Offener Unterricht mit Methode", auf die ich im folgenden eingehen möchte.

Sie fragten:
Eine weitere Fragekomplex ist, ob die Kinder ihre Aufgaben ganz frei wählen können oder ob es eine Auswahl aus Themen ist. Wann stehen nach welchem Plan Pflichtaufgaben für die Kinder auf dem Programm und wie ist das Verhältnis von Pflicht zu Kür?

Meine Antwort:
Grundlegend ist die thematische Wahl der Kinder immer absolut frei und unbegrenzt. Es kann jedoch auch thematische Fokussierungen geben in der die Kinder zum Beispiel zum Thema Pflanzen forschen. Dies sind dann aber immer Ausnahmeprojekte die zeitlich begrenzt sind. Es findet immer die Rückkehr zur vollen thematischen Öffnung statt.
Thematische Fokussierungen spielen im Konzept unter Anderem eine Rolle, da dass Konzept auch an klassisch-staatlichen Schulen (Nicht-Reformschulen) umsetzbar sein soll. Eine genaue Regelung der Öffnung und Schließung der thematischen Inhalte gibt das Konzept nicht vor. Das kann von Schule zu Schule und Lehrkraft zu Lehrkraft ganz unterschiedlich ausfallen.
Es gibt lediglich eine Richtlinie:
Es sol so viel thematische Fokussierungen geben wie nötig, jedoch so wenig wie irgend möglich. Das offene Forschen soll deutlich im Vordergrund stehen und lediglich zeitweise durch Fokussierungen befristet abgelöst werden.
Ist es an der Schule umsetzbar überhaupt keine thematischen Einschränkungen einzusetzen, wird dies befürwortet. Allerdings werden gelegentliche Themenzentrierungen auch nicht verteufelt.

Sie fragten:
Kann ein Kind die Aufgabe wechseln, d.h. sich anders als im Wochenplan vorgesehen Lerngegenständen zuwenden. Und muss das mit dem Lehrer abgesprochen werden, braucht es eine Rücksprache?

Meine Antwort:
Ja, jedes Kind hat die Möglichkeit dies zu tun, es sei denn es befindet sich gerade in einer temporär themenzentrierten Phase (wie oben beschrieben). Das Kind benötigt keine Erlaubnis, sagt dem Lehrer aber Bescheid, damit dieser den Überblick behält. Eine Absprache erfolgt auf Wunsch des Kindes.

Sie fragten:
Können Kinder jederzeit auch die Klasse verlassen um außerhalb dieser zu arbeiten - wer entscheidet an diesen Stellen?

Meine Antwort:
Ja, das dürfen sie. Es gibt einen Nebenraum und ein schönes Außengelände. So lange die Aufsichtspflicht gewahrt wird, dürfen die Kinder überall lernen.


Sie fragten:
Gibt es Plätze, wo Kinder nicht arbeiten dürfen?

Meine Antwort:
Die Toilette (es sei denn, genau diese soll erforscht werden). Dies hat hygienetechnische Gründe.


Sie fragten:
Gibt es einzelne Kinder, für die irgendwelche Einschränkungen gelten? Wenn ja, wer bestimmt wer wie eingeschränkt wird? Wenn ganz geschlossen auch nur selten vorkommt - wie viel Vorgaben gibt es und wie viel Freiraum besteht für jedes einzelne Kind? Gibt es Kinder mit unterschiedlich viel Freiraum? Nach welchen Kriterien wird das entschieden. Was geschieht, wenn ein Kind mehr Freiraum in Anspruch nimmt? Darf ein Kind Pflichtteile ablehnen? Wie wird damit im OUmM umgegangen? Wie wird aus einer ganz geschlossenen oder geschlosseneren Lernsituation wieder offenes Lernen?


Meine Antwort:
Beispiel: Über mehrere Wochen oder Monate stellt sich heraus, dass Peter große Schwierigkeiten mit dem offenen Lernen hat. Er hat ADHS. Er ist nicht in der Lage, eigene Ideen zu entwickeln. Er weiß nicht, was er schreiben oder forschen könnte. Die Auswahl eines eigenen Themas fällt ihm sehr schwer. Um es genau zu sagen ist dies für ihn ein Ding der Unmöglichkeit. Ein Lernen findet kaum oder extrem eingeschränkt statt.
In einem Gespräch fragt man das Kind, was man machen könnte, um ihm das Lernen zu erleichtern. Gemeinsam mit dem Kind erarbeitet man einen Plan. Oftmals sieht der Plan dann so aus, dass der Lehrer dem Kind unter die Arme greift.
Gemeinsam mit Peter erstellt man einen Arbeitsplan, der ihm sehr kleinschrittig sagt, was er tun soll (Erstens, zweitens, drittens etc.)
Traut sich das Kind nach einiger Zeit mehr zu, darf es sofort wieder in die offenen Strukturen übergehen. Hierfür fragt der Lehrer regelmäßig: "Meinst du, du schaffst es jetzt auch alleine, oder willst du weiterhin, dass ich dir helfe?"
Kein Kind wird künstlich in geschlossenen Strukturen gehalten, sondern stetig ermutigt selbstständig zu arbeiten.


Sie fragten:
Können die Kinder selbst entscheiden, was sie wann und wie in der Show präsentieren? Gibt es auch außerhalb der Show Präsentationenmöglichkeiten - welche Rolle spielt das Bedürfnis der Kinder?

Meine Antwort:
Ja, die Kinder können selbst entscheiden. Präsentiert wird dann, wenn die Kinder mit ihrem Projekt fertig sind. Das heißt, wenn sie für die Fertigstellung mehrere Wochen benötigen, setzen sie in der Wochenshow für die Zwischenzeit aus.
In der Gestaltung der Präsentation ist den Kindern keine kreative Grenze gesetzt. Sie habe grundlegende Präsentationstechniken gelernt, auf die sie zurückgreifen können, wenn sie das wollen. In der Ausgestaltung und Weiterentwicklung der eigenen Präsentation gibt es keine Einschränkungen.
Passt ein Projekt nicht in den Rahmen der Wochenshow, können auch andere Präsentationsplattformen vereinbart werden. Z.B. wenn Kinder ein Theaterstück konzipiert haben, wird ein Termin in der Aula zur Aufführung vereinbart, möglicherweise auch außerhalb der Unterrichtszeit.
Das Bedürfnis der Kinder spielt eine große Rolle. Das Konzept ist flexibel und dehnbar.


Sie fragten:
Können Kinder Regeln verändern oder abschaffen?

Meine Antwort:
Ja, das können sie. Im Klassenrat kann alles besprochen, diskutiert und vereinbart werden.
Der Lehrer behält sich jedoch das Recht vor, Regeln wieder einzusetzen, sofern sich deren Abschaffung als lernhinderlich erweist. Vielleicht wolen die Kinder das dann aber auch selbst.
Anders als bei Peschel bewahrt sich der Lehrer als Lernmanager ein gewisses Bestimmungsmonopol, von dem er allerdings möglichst wenig Gebrauch macht.


Sie fragten:
Und woran und wie wird gemessen, was gut funktioniert?

Meine Antwort:
Wenn das Kind arbeitet und beschäftigt ist, dann funktioniert es. Wenn es nicht beschäftigt ist, dann funktioniert es nicht.

Es ist ganz einfach:
Schreiben lernt man durch schreiben.
Durch Nicht-Schreiben erlernt man Nicht-Schreiben.
Von nix kommt nix.

Es ist für das offene Lernen zunächst nicht wichtig, wie viel ein Kind leistet oder wie gut das Produkt ist ist. Wichtig ist nur, dass es etwas leistet.

Sofern sich ein Kind beschäftigt, steht dem offenen Lernen nichts im Wege.


Sie fragten:
Wie wird festgestellt, ob Kinder mehr oder weniger Freiheiten möchten oder brauchen?

Meine Antwort:
Zum einen durch die Beobachtung, ob sich das Kind beschäftigt. Zum anderen durch das Gespräch mit dem Kind.


Sie fragten:
Nach welchen Kriterien wird das Selbstlernen ausgeweitet oder eingeschränkt? Wann wird umgesteuert? Nach welchen Kriterien wird festgelegt, ob ein Kind mehr oder weniger selbstlernen soll?

Meine Antwort:
Ich denke, diese Fragen sind durch die oberen Ausführungen bereits mit beantwortet worden.


Sie fragten:
Werden alle Kinder gemeinsam 'berieselt' oder können sich auch nur einzelne Kinder berieseln lassen, bzw. vom berieseln ausklinken?


Meine Antwort:
Ein Berieselnlassen findet in Form von Kompetenztrainings statt, die veranstaltet werden, wenn dies für das offene Arbeiten nötig erscheint. Inhalte könnte sein: Wie benutze ich den Computer? Wie führe ich eine Schreibkonferenz durch? Wie finde ich ein Thema im Internet. Was mache ich, wenn ich einen Satz nicht verstehe?
etc.

Solche Trainings werden für alle Kinder veranstaltet. Sie sind zeitlich begrenzt. Im Maximalfall kann eine Methodenwoche stattfinden. Spätestens dann sollte das offene Lernen wieder einsetzen.

Diese Trainings haben stets das Ziel, die Kompetenz der Kinder zum selbstständigen Lernen zu erweitern und sie zu unterstützen.

In den offenen Lernphasen gibt es natürlich auch Einzeltrainings im Zuge der Beraterfunktion des Lehrers.


Im Rahmen des Sachunterrichts sind zeitweise Phasen des Berieselnlassens denkbar. Manche Lebensbereiche sind nur schwer über das offene Lernen zu erschließen. Ich denke hierbei z.B. an physikalische oder chemische Experimente mit überaus komplizierten Aufbauten und einem gewissen Gefahrenpotential. Manche Dinge bieten sich einfach dafür an, sie in der Gemeinschaft durchzuführen. Zum Beispiel halte ich auch die gemeinsame Thematisierung der Sexualkunde mit der Gesamtgruppe für sinnvoll. Ein Austausch miteinander ist hier extrem wichtig.

Sicherlich wäre es interessant eine Liste mit Gegenständen der Lebens- und Lernwirklichkeit zu erstellen, die sich durch eine offene Lernmethodik nur schwer erschließen lassen.

Hieraus ließe sich ein kleines Gewährleistungscurriculum erstellen, aus dem man sich gelegentlich ein Thema (gerne auch gemeinsam mit den Kindern) herauspickt. Allerdings müsste dieses Curriculum sehr klein gehalten werden, damit das offene Lernen nicht übermäßig eingeschränkt wird. Ich denke hier an ein Verhältnis von vielleicht 90 zu 10 für das offene Lernen.


Ich hoffe, ich konnte hiermit die meisten Fragen beantworten.

Beste Grüße
Michael Kellner

Thema: Offener Unterricht mit Methode - Diskussion mit M. Kellner
Michael Kellner

Antworten: 13
Hits: 37807

10.03.2009 22:38 Forum: offener Unterricht

Sie schrieben:
Woher nehmen sie die Aussage, daß das was die Kinder bei Peschel tun, zunächst nichts mit schulischen Lerninhalten zu tun hat?


Weil Sie dies selbst so schrieben.

Hier ihr Zitat (aus Ihrer ersten Antwort weiter oben):
„Falko Peschel hat nicht drei Stufen sondern fünf und die Kinder werden nicht mit der Vielfalt der schulischen Lerninhalte konfrontiert, sondern die LehrerIn hört erst einmal zu. In seiner Dokumentation schildert Peschel den ersten Unterrichtsalltag als Tag der Kinder.“ Das lässt sich beim besten Willen nicht als Konfrontation mit schulischen Lerninhalten interpretieren. Es gibt von Seiten Peschels noch nicht einmal eine Ansprache oder Erklärungen. Seine Aktivität beschränkt sich darauf, den Kreis einzuberufen und nach der Geburtstagsfeier zu fragen, ob es denn Hausaufgaben geben soll. Die Kinder stimmen ab und entscheiden sich so dafür.



Sie schrieben:
Soll das unterstellen, das wäre der bessere Weg, dann frage ich zurück: Was ist der Maßstab? Für wen besser? Für die Kinder oder für den Lehrer? Und inwiefern besser? Warum schränken Sie Offenheit erst ein um dann schrittweise doch Offenheit zu erreichen?


Nein, das soll nicht unterstellen, dass es besser ist. Aber es ist auch gut. Zumindest hat sich gezeigt, dass es sehr gut funktioniert.
Denkbare Vorteile können sein:
- Die Öffnung des Unterrichts wird auch handhabbar für Lehrer die nicht so genial wie z.B. ein Falko Peschel sind.
- Die Kinder erhalten durch die schrittweise Öffnung einen sicheren Weg zur Selbstständigkeit
Sicherlich haben die Sofortmethode von Peschel und die Peu-a-Peu Methode sowohl Vor- und Nachteile. Über gut und schlecht möchte ich hier kein Urteil fällen.


Sie schreiben:
Der Offene Unterricht mit Methode will gar nicht den Kindern die Selbstbestimmung über ihr eigenes Lernen ermöglichen, weil er stellt von vornherein fest, das es Kinder gibt, für die Selbstbestimmung nicht gut ist, ja sogar ein Hindernis ist. Das wird zum undiskutierbaren Fakt erklärt.


Dem ist nicht so. Kinder werden nicht von vorneherein beurteilt. Vielmehr ergibt sich dies aus dem mehrfachen Scheitern offener Lernversuche.
Aber an der Aussage, dass es Kinder gibt, für die offenes Lernen (zumindest zeitweise) hinderlich ist, halte ich aus Erfahrung fest.


Sie schreiben:
Entweder Sie haben die Bücher: Offener Unterricht in der Evaluation nie gelesen, oder sie betreiben eine Rufmordkampagene an Falko Peschel. Eine dritte Möglichkeit wäre: Sie wollen mich provozieren.


Natürlich ist nichts davon der Fall. Es ist schlicht die vierte Möglichkeit: Ich sehe Teile des Konzepts „Peschel“ durchaus kritisch. Ist dies hier nicht gestattet?
Dass Sie von einer Rufmordkampagne ausgehen finde ich ja schon gar eine lustige Idee.
Gerne lasse ich mich eines Besseren belehren. Dass ich die Peschel-Bücher gelesen habe, ist schon eine Weile her. Können Sie mir eine Stelle nennen, in der Peschel intensiv auf die Schwachstellen und Probleme des offenen Lernens eingeht? Bietet er ein Konzept für den Umgang mit Kindern die drohen, im offenen Lernen unterzugehen?
Meine Wahrnehmung ist, dass hiervon zumindest im Tenor und auch in seinen Vorträgen wenig herüberkommt. Vielleicht können Sie mir aber jetzt doch eine Seitenzahl nennen auf der ich dann gerne noch einmal nachlese.



Sie schrieben dazu noch dies:
Kann es sein, daß Schüler gar nicht offen Lernen können? Auch diese Frage ist grundsätzlich mit einem klaren: Nein! zu beantworten.
Kinder lernen von ihrer Geburt an - immerzu. Es gibt keinen Grund, warum sie gerade in der Schule das aufgeben sollten. Sie dürfen ja das lernen, was sie interessiert. Die Frage ist also also rein rhetorisch zu verstehen, bzw. sie erfolgt aus einer Haltung heraus, die Lernen als etwas fremdes für das Kind versteht. Diese Haltung verkennt aber vollkommen die Einsicht, die schon Einstein hatte: Kinder lernen trotz Schule!



Es kann sein, daß Kinder langsam lernen, daß sie etwas nicht lernen, was sie lernen sollen, das sie etwas nicht lernen, weil sie von ganz anderen Problemen belastet sind, z.B. Arbeitslosigkeit - um nur eines zu nennen. In den letzten beiden Fällen können die Schüler nicht nur nicht offen sondern auch mit keinem anderen Konzept lernen. Sie brauchen Hilfe und Trost, Beistand. Wenn sie nicht lernen, was sie sollen - dieses Problem kommt im Offenen Unterricht nach Peschel nicht vor - es gibt keine Pflichtaufgaben, es gibt kein sollen.

Hier zeigen Sie sehr deutlich, was ich gerne als die radikale Ideologie des Offenen Unterrichts bezeichne. In einem sehr stark philosophisch anmutenden Absatz, der neben seiner schönen Klangfarbe faktisch als fragwürdig zu bezeichnen ist, erklären sie den Ansatz „Offener Unterricht“ praktisch für unfehlbar und verneinen die Existenz von Kindern für die dieser Lernweg unvorteilhaft ist. Offener Unterricht ist nach dieser Darstellung für alle der einzig richtige Weg!
Ich gebe zu, dass offener Unterricht für die meisten Kinder überaus große Vorteile bringt, aber wo bleibt trotz allem die Kritikfähigkeit und ein gesunder Abstand zur eigenen Sache?
Ich selbst, als Vertreter Offenen Unterrichts, möchte mich stückweit von Ansichten distanzieren, die keinerlei Kritik anerkennen, Schwachpunkte nicht selbstkritisch reflektieren und andere Konzepte nicht anerkennen können.
Ich könnte an dieser Stelle zahlreiche Problempunkte meines eigenen Konzeptes benennen. Aber ganau das ghört dazu. Nobody’s perfect. Doch ist man sich dieser Schwachpunkte bewusst, kann man Schwierigkeiten vermeiden und vorbeugen.
Ich stelle Ihnen gerne mal ein paar Kinder vor. Vielleicht ändern Sie dann Ihre Meinung a la „Alle Kinder sollen ausnahmslos offen lernen“ stückweit.
Meine Meinung ist: Offener Unterricht sollte die Basis eines jeden Unterrichts sein – sollte aber auch eigene Schwachpunkte anerkennen und dementsprechend agieren.
Anmerkung: Mir ist sogar mal aufgefallen, dass offen lernende Kinder gelegentliche lehrerzentrierte Phasen regelrecht genießen können – der Genuss des berieseln lassens. (Dies soll mit nichten ein Plädoyer für lehrertentrierten Unterricht sein. Offenes Lernen muss stets die Basis sein).



Sie schrieben:
Ich suche tatsächlich schon lange nach wissenschaftlichen Kritiken des Offenen Unterrichts von Peschel - nur bisher leider vergebens.



Mir ist auch kein Wissenschaftler bekannt, der sich die Mühe gemacht hat, genau dies zu untersuchen. Untersuchungen beziehen sich immer auf offenen Unterricht im Generellen. Und hier finden Sie auch Kritikpunkte.

Thema: Offener Unterricht mit Methode - Diskussion mit M. Kellner
Michael Kellner

Antworten: 13
Hits: 37807

10.03.2009 22:34 Forum: offener Unterricht

Vorab:
Ich bin ein Freund des Offenen Unterrichts und auch der von dem Unterricht Falko Peschels. Ich würde mich freuen, wenn wir in Deutschland viel mehr solche Lehrer hätten. Aber als wissenschaftlich orientierter Mensch sehe ich auch Grenzen und Kritikpunkte. Auch diese möchte ich hier frei äußern dürfen. Ich würde es sehr begrüßen, wenn diese Diskussion weiterhin auf einer wertneutralen Ebene verlaufen könnte, auch wenn teilweise kritische Meinungen in Richting Peschel geäußert werden.

Zu der Stufendebatte:
In einem haben Sie Recht: Die Unterscheidung von Stufen ist in dieser Diskussion von keiner großen Bedeutung. Aber die Unterscheidung ist trotzdem existent und darf nicht völlig durcheinandergebracht werden. Mit Begrifflichkeiten sollte schon fachlich korrekt umgegangen werden. Wichtig ist jetzt erstmal, dass ich zwischen Stufen und Dimensionen trenne. Wenn ich also im Folgenden von Stufen der Öffnung spreche, dann meine ich auch die in Peschels Literatur benannten drei Öffnungsstufen + Vorstufe und nicht die fünf Dimensionen. So sollten keine Missverständnisse mehr aufkommen.

Sie schrieben:
Daraus entnehme ich, dass der Lehrer nach wie vor unterrichtet. Die Kinder folgen mithin dem Unterricht des Lehrers. Oder sehe ich das falsch?


Das empfinde ich nun als Haarspalterei. Dieser besagte Satz spiegelt lediglich wider, dass der Lehrer die Kinder als Individuen wahrnimmt. Sie beschweren sich über die Vokabel „unterrichten“. Auch wenn die Kinder den Unterricht selbstständig bestreiten, so spricht man doch offiziell immer noch vom Unterricht von Frau oder Herr Herrn XXX. Schließlich heißt es ja auch Offener UNTERRICHT und offener-UNTERRICHT.net. Hier wäre sicherlich auch offenes-lernen passender.
Ich sehe „Unterricht“ und „unterrichten“ als neutrale und wertfreie Begriffen an.


Sie schrieben:
Ich frage: Wer und wie wird interessenbezogenes, intrinsisch motiviertes Lernen mit anderen Lernmethoden kombiniert? Was sind überhaupt Lernmethoden Ihrer Auffassung nach?


Da Ihrerseits offensichtlich immer noch deutliche Bedenken bezüglich des Konzeptes bestehen, ob dies wirklich ein offener Unterricht ist oder in Wirklichkeit nur ein getarnter lehrerzentrierter Unterricht, möchte ich versuchen zu erläutern, wie die Aktivität der Kinder im finalen Lernarrangement aussieht (Bsp.: Deutsch-Sachunterricht-Mathe):

Die Kinder erhalten jeden Montag neu einen offenen Wochenplan. Dieser ist weitgehend leer. Anhand dieser Vorlage planen die Kinder ihre eigene Lernwoche. Der Wochenplan hat vier Spalten:

1. Spalte: Projekt
Hier können die Kinder etwas eintragen, wenn sie sich für diese Woche irgendein Projekt ausdenken möchten. Im Vorfeld haben die Kinder schon gelernt, wie man einen Artikel für die Klassenzeitung schreibt oder wie man ein Lernplakat erstellt und am Ende der Woche vorstellt. Zur professionellen Durchführung solcher Projekte erwarben die Kinder schon im Vorfeld wichtige (lern-)methodische Kompetenzen, z.B. das Recherchieren im Internet, die Durchführung einer Schreibkonferenz, Fragen an ein Thema stellen, Gestaltung eines Plakates, Kernwörter markieren, Quizfragen erstellen, Präsentationstechniken etc. Aber auch die Vorgehensweise bei Problemen wurde in vergangenen Zeiten mit ihnen trainiert und abgesprochen, z.B. Nachschlagen im Wörterbuch bei unbekannten Wörtern, Mitschüler fragen und auch die Regel: immer erst die Mitschüler fragen und den Lehrer als letztes und nur im absoluten Notfall. Mit solchen Grundkompetenzen arbeiten die Schüler sehr selbstständig, zielstrebig und effektiv.
Es muss aber nicht unbedingt ein Lernplakat oder ein Zeitungsartikel sein. Hat das Kind völlig andere kreative Ideen, kann es diese mit dem Lehrer besprechen und durchführen. Auch mehrwöchige Projekte sind möglich. Die Kinder entscheiden weiterhin, ob sie alleine oder in einer Gruppe arbeiten möchten.
Somit sind Organisation, Methode und Inhalt weitestgehend offen.
Am Ende der Woche können in der Klassenveranstaltung „Die Wochenshow“ dann Ergebnisse präsentiert werden.

2. Spalte: Lesen und Schreiben
Hier können die Kinder Ihre Vorstellungen eintragen, was sie in dieser Woche schreiben oder lesen wollen. Dies kann zusätzlich zum Projekt geschehen oder dieses ersetzen.

3. Spalte: Rechnen
Hier tragen die Kinder Rechenideen ein. Auch Rechenprojekte sind sehr willkommen. Die Kinder lernen z.B. vorab, wie man spannende Rechen-Knobelgeschichten schreibt etc. Die Kinder können sich auch eigene Rechenaufgaben ausdenken. Kreative Ideen sind willkommen. Teilweise enthält dies Spalte aber auch zusätzlich noch vorgegebene Matheaufgaben, die an den Leistungsstand des Kindes angepasst sind.


4. Spalte: Rechtschreibforscher
Dieser Bereich ist der geschlossenste. Hier arbeiten die Kinder in ihren unterschiedlichen Niveaustufen und in eigenem Tempo mit sehr anregendem Arbeitsmaterial, z.B. Sortieraufgaben mit einem Partner oder Wortschatztraining am Computer. Die offene Auseinandersetzung mit der eigenen Rechtschreibung findet anhand der Schreibkonferenzen zu den eigenen Texten innerhalb der oben beschriebenen Projekte statt.

Für Kinder die mit der Offenheit in diesem (leeren) Wochenlan partout nicht zurechtkommen, kann der Wochenplan auch vom Lehrer oder gemeinsam von Lehrer und Schüler ausgefüllt werden. Für vereinzelte Kinder kann dies auch die komplette Schließung des Unterrichts bedeuten (was seltenst vorkommt).

Ich hoffe, dass hier deutlich geworden ist, dass „Offener Unterricht mit Methode“ trotz seiner vielfältigen methodisch-didaktischen Hintergrundüberlegungen immer noch ein sehr offenes Konzept ist. Zugegeben – die Offenheit ist nicht ganz so weit ausgeprägt, wie im Konzept Peschel. Aber es ist auch nicht gesagt, dass nur jener Offener Unterricht gut ist, der die Offenheit bis an die Spitze treibt.


Sie schrieben:
Es ist also bei Peschel gar nicht notwendig ein klares Sanktionenkonzept zu erstellen. Es kann also die Kinder auch nichts verunsichern. Wer erstellt denn dieses Konzept, wer setzt es durch? Wer verhängt die Sanktionen und wie wehren sich Kinder dagegen - oder gibt es nur die Unterordnung? Welchen Einfluß haben Kinder auf dieses Konzept?


Ich möchte gar kein klar definiertes Sanktionierungskonzept für mein Konzept benennen, da die Notwendigkeit von Sanktionierungsmaßnahmen von Klasse zu Klasse sehr stark variieren können. Vielmehr ist mir nur das Prinzip der Berechenbarkeit wichtig. Das heißt, dass die Kinder wissen wann und warum eine Sanktionierung stattfindet. Kinder erhalten z.B. immer erst zwei nette Warnhinweise, bevor tatsächlich etwas passiert.
Ich würde jedoch eine Empfehlung aussprechen (so wie auch ich es selbst mache): Im Rahmen des Klassenrates kann man wunderbar gemeinsam mit den Kindern Regeln und dazugehörige Sanktionen vereinbaren. Diese Regeln kommen zum größten Teil von de Kindern selbst. Das kann dann z.B. die Form eines Strafgesetzbuches annehmen oder auch ein Vertrag auf dem alle unterschreiben… Auf dieser Basis werden schwierige Fälle von den Kindern selbst verhandelt und entschieden. In kleineren Delikten oder wenn es mal schnell gehen muss, gibt es aber auch immer noch das Machtwort des Lehrers.

In diesem Bereich gibt es also Unterschiede zum Konzept Peschel.

Thema: Offener Unterricht mit Methode - Diskussion mit M. Kellner
Michael Kellner

Antworten: 13
Hits: 37807

Offener Unterricht mit Methode 13.02.2009 00:30 Forum: offener Unterricht

Lieber Jürgen Göndör,
Sie baten mich um einen Austausch zum Ansatz Offener-Unterricht-mit-Methode und den Unterschied zum Ansatz Falko Peschels.
Entschuldigen Sie für die Verzögerung meiner Antwort. Durch die anstehende Schulreform in Hamburg bin ich im Moment sehr mit dem Fortbilden beschäftigt.

Erst einmal möchte ich sagen, dass ich diesen Ansatz nur ungern als direkten Konkurrent zum Ansatz Falko Peschels verstehen würde, auch wenn es sicherlich einige Differenzen gibt.
Ich wertschätze die Arbeit von Herrn Peschel sehr und freue mich sehr darüber, dass er eine solide Basis und eine brauchbare Definition zum offenen Unterricht liefern konnte. So hatte sein Konzept zur Folge, dass sich viele Lehrer/innen darüber bewusst wurden, dass Sie eigentlich gar keinen wirklich offenen Unterricht praktizierten - auch wenn sie sich Jahre lang damit geschmückt haben. Die Definitionsproblematik ist durch das 3-Stufen-Modell des Offenen Unterrichts gelöst.

Zunächst nun also zu den Gemeinsamkeiten beider Ansätze:
- beide Ansätze sehen jedes einzelne Kind bewusst als Individuum an, welches seine ganz speziellen Eigenschaften mitbringt
- bei beiden Ansätzen orientiert sich die Pädagogik am Kind und nicht umgekehrt
- das Vorhaben beider Ansätze ist die Offenheit in organisatorischer, inhaltlicher, methodischer und sozial-integrativer Weise (wobei letzteres im Ansatz Offener Unterricht mut Methode mit Einschränkungen enthalten ist)
- beide Ansätze verlangen einen Unterricht der jedes Kind im eigenen Tempo, nach eigenen Interessen und Fähigkeiten anspricht und eine individuelle Persönlichkeitsentwicklung anstrebt
- beide Ansätze fordern und fördern das selbstständige/eigenverantwortliche Lernen, Eigenverantwortlichkeit und intrinsische Motivation
- beide Ansätze verfolgen einen authentischen, nicht-synthetischen Unterricht. Es gibt nur wenige vom Lehrer klar determinierte Aufgabenformate als Pflichtvorgabe
- beide Ansätze enthalten die „Pädagogik des leeren Blattes“
- beide Konzepte erfordern eine veränderte Lehrerrolle und verlangen andere Lehrerkompetenzen, als es bei der traditionellen Lehrkraft der Fall ist. Der Lehrer ist kein Determinator, sondern viel mehr ein Begleiter des selbstständigen Lernprozesses.


Nun zu den Unterschieden:
Ansatz Falko Peschel:
Man entlässt die Kinder von Anfang an in eine vollwertige 3-Stufen-Öffnung und konfrontiert sie mit der Vielfalt der schulischen Lerninhalte. Am besten lernen die Kinder, wenn man sie einfach machen lässt.

Offener-Unterricht mit Methode:
Dieses Konzept stellt den Kindern sehr offene Lernarrangements zur Verfügung, in denen sie selbstständig arbeiten können. Allerdings geht man hier davon aus, dass man den Kindern in sogenannten Kompetenztrainings (welche vorab stattfinden) zunächst einmal das nötige Rüstwerkzeug an die Hand geben muss, welches sie benötigen, um im Lernarrangement selbstständig handeln zu können. „Möchte jemand einen Tisch bauen, so wäre es doch sinnvoll, ihm vorher zu zeigen wie der Hammer gehalten und der Hobel bewegt wird. Mit diesen Kompetenzen kann dann jeder seinen eigenen, ganz persönlichen Tisch bauen. Der eine baut einen großen Tisch, der andere einen kleinen, der eine braucht lange für seinen Tisch, der andere nur kurz.“
Wer sich die Lernarrangements des Konzepts genauer anschaut (sie sind auf der Homepage nur grob dargestellt) wird merken, welche Offenheit in ihnen steckt, auch wenn es einen klar definierten Handlungsrahmen gibt.
Das Konzept führt die Kinder schrittweise zu einer vollwertigen 3-Stufen-Öffnung. Organisatorische und inhaltliche Öffnungen lassen sich sehr schnell realisieren (bereits ab Klasse 1). Zur methodischen Öffnung kommt es erst, wenn die Kinder einige fundamentale Methoden des projektorientierten Unterrichts beherrschen und die damit einhergehenden Kompetenzen erworben haben. Es handelt sich dabei z.B. um das Erstellen eines Lernplakates in der Forscherwoche, das Schreiben eines Zeitungsartikels für die Klassenzeitung, das Erstellen von Quizzfragen, Themen tiefgründig erforschen, systematischer Umgang mit schwierigen Texten, das offene Schreiben und das offene Lesen, kreatives Schreiben, Durchführung einer Schreibkonferenz, das Vorstellen und Präsentieren in vielfältigsten Formen etc.
Sind die Kinder einmal mit diesen Methoden vertraut dürfen sie zunehmend eigene methodische Ideen entwickeln, diese Woche für Woche mit der Lehrkraft besprechen und selbstständig durchführen. Es hat sich gezeigt, dass das methodische Vorwissen der Kinder bzgl. des Lernen lernens für sie mehr als hilfreich bei der selbstständigen Konzeption neuartiger Methoden für das eigene Lernen (im sog. offenen Wochenplan) ist - ja, es sie gar beflügelt.

So lässt sich sagen, dass das Ziel beider Ansätze in etwa identisch ist. Allerdings unterscheidet sich der Weg dorthin teilweise deutlich.
Offener Unterricht mit Methode integriert das Konzept der Kompetenzorientierung.

Weitere Anmerkungen:
- Offener Unterricht ist kein einheitliches Pädagogisches Konzept. Das war es nie und das ist es bis heute auch nicht (vgl. Eiko Jürgens). Es ist vielmehr eine pädagogische Grundüberzeugung, ein Schlagwort, ein offener Begriff. Es gibt keine klare didaktisch-inhaltliche Definition.
- Offener Unterricht kann daher von Lehrer zu Lehrer sehr stark unterschiedlich sein (auch qualitativ).
- Offener Unterricht mit Methode ist auch der Versuch, Offenem Unterricht einen methodisch-didaktischen Inhalt zu verleihen
- Ich halte das Konzept Falko Peschels nicht für allgemeintauglich und schwer handhabbar für andere Lehrer. Die Durchführung seiner weitgehend sehr intuitiven Unterrichtsmethoden gelingen dem anderen Lehrer vielleicht ganz anders und möglicherweise nicht so erfolgreich. Es ist ein sehr individuelles Konzept und eng mit der Persönlichkeit des Erstellers verknüpft. Es erfordert einen extrem hohen Grad an Lehrerkompetenz. Es ist fraglich, ob es von anderen Lehrern problemlos übernommen werden kann.
- Jede Lerngruppe ist anders. Es ist fraglich, ob das Konzept in andere Lerngruppen (mit gänzlich anderen Eigenschaften) übertragen werden kann.
- Offener Unterricht mit Methode soll auch den Offenen Unterricht auch für andere Lehrkräfte handhabbar und transparenter machen. Dabei sollen Lehrer jedoch nicht das Konzept wie vorgestellt klonen, sondern ihren eigenen Weg zum Offenen Lernen entwickeln dürfen. Dafür erhalten sie Kernkompetenzen als Rahmen:
- Die Entwicklung von eigenen (offenen) Lernarrangements für die individuelle Lerngruppe
- (natürlich) die Erstellung und den Einsatz von (offenen) Wochenplänen
- Umgang mit Kompetenzen, Kompetenzanalysen der Kinder
- vielfältige diagnostische Kompetenzen, und die Kompetenz der Begleitung des Kindes
- und natürlich die grundsolide Wissensbasis über die Bedeutung und den Wert vom Offenen, selbstständigen, individualisierten und interessensbezogenen Lernen. Denn offener Unterricht hat immer noch einen idealistischen Charakter und erfordert gewisse Überzeugungen seitens der Lehrkraft, die ihn inszenieren will.

Daher bezeichne ich die neue Lehrerrolle auch gerne als „Lerndesigner“

Damit möchte ich diesen Thread starten und hoffe auf eine lebhafte Diskussion!

Beste Grüße
Michael Kellner

Zeige Themen 1 bis 4 von 4 Treffern

Powered by Burning Board Lite 1.0.2 © 2001-2004 WoltLab GmbH