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Ronja


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Offener Unterricht und Bildungsstandards Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       IP Information Zum Anfang der Seite springen

Hallo,

ich werde bald mein mündliches Examen zum Thema "Offener Unterricht" haben und bin mir über einige Aspekte noch nicht ganz im Klaren bzw. würde gerne noch andere Gedanken dazu lesen.
1. Inwieweit können die Vorgaben des Bildungsplans (spez. BaWü) mit Offenem Unterricht realisiert werden (Wie passen die Konzepte des OU´s zu dieser Kompetenzorientierung?)?
2. Was sind die Chancen und Grenzen des Offenen Unterrichts in Hinblick auf die Kompetenzen und Bildungsstandards?
3. Ist Offener Unterricht die richtige Antwort auf PISA?

Steht die Idee der Vergleichsarbeiten (Homogenität) nicht völlig im Widerspruch mit der Idee des Offenen Unterrichts, in dem es gerade nicht darum geht, dass alle auf dem gleichen Stand sind (Heterogenität)?

Ich bin gespannt auf neue Ideen und Gedanken zu meinen Fragen.

LG, Ronja

Dieser Beitrag wurde schon 1 mal editiert, zum letzten mal von Ronja am 09.02.2009 15:11.

09.02.2009 15:10 Ronja ist offline Beiträge von Ronja suchen Nehmen Sie Ronja in Ihre Freundesliste auf
Chris McFaz Chris McFaz ist männlich
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Bildungsplan Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       IP Information Zum Anfang der Seite springen

Hallo Ronja,

Nicht nur die Idee von Vergleichsarbeiten steht im Widerspruch zur Idee des OU, sondern m.E. auch Standards an sich.
Aber es gibt Trost: Die Homogenität der Grundschulen mit "gewöhnlichem" Unterricht ist auch nur Illusion. Es kommen in der Sek I nicht 2 Kinder mit den gleichen Voraussetzungen an.

Konkret aber zu Deinen Fragen: Kauf Dir Peschels Offener Unterricht I und II, da steht die Antwort auf Deine erste Frage drin. Kurz kann ich das hier nicht machen, aber das Buch wird Dich auf jeden Fall bereichern.
Zu 2.: Offener Unterricht produziert keine standardisierten Kinder, da fängt die Grenze bereits an. Im Hinblick auf Kompetenzen bietet er die Chance, dass wirkliche Kompetenzen entstehen können und nicht Auswendiggelerntes und Nachgekautes das Ergebnis der Grundschulzeit ist.
Zu 3.: Ist PISA die richtige Fragestellung im Hinblick auf Kinder?

Über weitere Diskussionen freu ich mich.

Christian

09.02.2009 22:56 Chris McFaz ist offline Email an Chris McFaz senden Homepage von Chris McFaz Beiträge von Chris McFaz suchen Nehmen Sie Chris McFaz in Ihre Freundesliste auf
Ronja


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Hallo,

vielen Dank für die neuen Impulse.
Vielleicht sollte ich meine dritte Frage anders formulieren, denn so leicht lasse ich (bzw. meine Prüfer) mich nicht abspeisen smile Inwiefern kann der Offene Unterricht nach PISA den Kindern helfen oder sie unterstützen - wo liegen die Potenziale. Ich denke da z.B. an Folgendes: mangelhafte Lesekompetenz der Schüler ---> Offener Unterricht: interessengeleitet, Kinder können sich z.B. selbst aussuchen, was sie lesen wollen. Oder zum Thema Rechenmüdigkeit ----> Offener Unterricht: Ausflug in den Ort, Einmaleins Aufgaben suchen gehen, etc. Die Beispiele sind jetzt nicht besonders gut durchdacht - ich bin einfach nur auf der Suche nach etwas Konkreterem. Zum Thema Kompetenzen leuchtet mir ein, dass gerade die wichtigen Kompetenzen und Schlüsselqualifikationen im O.U. zum Tragen kommen. Peschel schreibt in einem Kapitel zum Thema Vergleichsarbeiten, dass die standardisierten Tests und die bundesweiten Vergleichsstichproben eine Möglichkeit darstellen, die Lehrer abzusichern bzw. zu beruhigen, so dass sie die Offenheit auch durchhalten. Ist er da nicht ein bißchen wie ein Fähnchen im Wind? Einerseits ist er absolut radikal in seiner "Offenheitsvorstellung" - aber andererseits befürwortet er dann doch Tests oder Vergleichsarbeiten, die dem Prinzip des O.U. widersprechen.
Wahrscheinlich gibt es noch viel mehr Ungereimtheiten, für die ich eine Antwort suche - aber das ist im Moment das Wesentliche, das mich beschäftigt.

LG, Ronja

10.02.2009 21:38 Ronja ist offline Beiträge von Ronja suchen Nehmen Sie Ronja in Ihre Freundesliste auf
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Das schiefe IGLU von PISA Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       IP Information Zum Anfang der Seite springen

Hallo Ronja,

bei PISA handelt es sich ja um eine Studie, die mit 15jährigen Kindern durchgeführt wurde. Peschels Bände dokumentieren einen OU in der Grundschule und ich nehme an, dass auch Deine Fragestellung darauf abzielt, da Du ja vom Einmaleins schreibst. Was aber die Grundschule betrifft, so fallen die Ergebnisse z.B. der IGLU-Studie schon besser aus.
Aber nochmal, diesmal differenzierter: Wenn man die Erkenntnisse etwa der Neurobiologie der letzten Jahre ernst nimmt, wird klar, dass PISA die falschen Fragen stellt. Es geht nicht darum, wie gut jemand etwas kann, sondern in welchem Maße er noch in der Lage ist, etwas zu lernen. Diese Fähigkeit wird durch die Öffnung des Unterrichts gestärkt. Ein gutes Beispiel führt ausgerechnet B.Bueb in der neuen GeoKompakt an:
Zitat:
Die Hauptschule Innenstadt in Tübingen ist eine wunderbare Schule, deren Erfolg sich unter anderem darin zeigt, dass 75 Prozent ihrer Absolventen entweder einen Ausbildungsplatz bekommen oder einen höheren Abschluss anstreben. Warum wirken die Schüler so überzeugend auf die Firmen? Erstens ist die Schule eine Ganztagsschule. Und zweitens haben die Lehrer den Mut gehabt, der Erlebnispädagogik den Vorrang vor der akademischen Bildung einzuräumen. Da wird Zirkus gemacht, Theater gespielt, Sport getrieben, schöpferische Medienarbeit gemacht. Die Lehrer haben es dadurch geschafft, Schülern ein solches Selbstwertgefühl zu vermitteln, dass sie viel eher eingestellt werden. Die Firmen wissen zwar, dass die nicht gut rechnen, schreiben und lesen können – aber sie sind sich sicher, dass sie an sich glauben und das nachholen.

Falko Peschel habe ich übrigens als alles andere als ein Fähnchen im Wind erlebt. Ich denke, dass er seine Vorstellung von OU sehr schlüssig und stimmig verkörpert. Realistisch ist die Einschätzung allemal, dass man Lehrer absichern und beruhigen muss.

So viel für heute. Schöne Grüße

Christian

10.02.2009 22:35 Chris McFaz ist offline Email an Chris McFaz senden Homepage von Chris McFaz Beiträge von Chris McFaz suchen Nehmen Sie Chris McFaz in Ihre Freundesliste auf
Ronja


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Warum geht Peschel eigentlich davon aus, dass der Bildungsplan bzw. "die Richtlinien, Lehrpläne, etc." einen fast unbegrenzten Freiraum bieten? Ich dachte, dass diese Richtlinien einengend seien und der Offenheit entgegenstünden? Setzt er sich einfach über die vorgegebenen Standards hinweg und ignoriert sie, in dem er zielstrebig sein Konzept realisiert? Utopisch?
Und an anderer Stelle schreibt er (Zitat!): "Dabei stützen die Richtlinien und Lehrpläne das situative Vorgehen bzw. den Offenen Unterricht in hohem Maße (...) Der Offene Unterricht scheint sogar in letzter Konsequenz die einzige Umsetzungsmöglichkeit darzustellen, die Aussagen und Ziele der Richtlinien und Lehrpläne in der angestrebten Form erreichen zu können."
Bin ich gerade auf dem Holzweg? Der Bildungsplan kann doch auch im O.U. nicht ignoriert werden, oder?
Gibt es eigentlich Studien oder Informationen darüber, wie "Offener Unterricht"-Kinder den Übergang in die weiterführenden Schulen "verkraftet" haben? Ich könnte mir (ganz kritisch und plump gesagt) vorstellen, dass es einem Sprung ins kalte Wasser ähnlich ist - die Realität schlägt zurück (hinsichtlich Leistungsbewertung, Notengebung, Struktur, Organisation, etc.). Die Kinder sind doch völlig überfordert, wenn sie nach 4 Jahren O.U. in einen herkömmlichen "geschlossene Lehrgangsunterricht" hineinschlittern. Fragen über Fragen. Das ist mir alles noch nicht so klar.

Lieber Gruß, Ronja

P.s. Ups, ich hab ausversehen ein neues Thema eröffnet und kann es nicht mehr löschen - das war eigentlich die Antwort und kein neues Thema..

11.02.2009 17:41 Ronja ist offline Beiträge von Ronja suchen Nehmen Sie Ronja in Ihre Freundesliste auf
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Hi Ronja,

Peschel kann das mit den Freiräumen behaupten, weil es so ist. Selbst bei uns in Baden-Württemberg ist es ja so, dass der verbindliche Teil des Bildungsplanes sich auf die darin beschriebenen Kompetenzen beschränkt. Die gegebenen Beispiel sind lediglich Vorschläge, die durch Gleichwertige ersetzt werden können. Der Bildungsplan, der Peschels Arbeit zugrundeliegt ist der von NRW, der auch sehr fortschrittlich ist. Auch an der Stelle, an der du das Zitat bringst verstrickt sich Peschel nicht in Widersprüche. Das KM in BW geht beispielsweise davon aus, dass viele Schulen bereits sehr offen arbeiten und formuliert diesen Anspruch durchaus auch im Bildungsplan.
Dann fragst Du nach Informationen über Kinder aus dem Offenen Unterricht in der Sekundarstufe. In Band II von Peschels OU befindet sich eine FAQ, ich glaube, da wird diese Frage beantwortet. Von Rolf Robischon weiß ich, dass viele Kinder ihm dankbar sind, für die Schulzeit, die sie bei ihm verbringen durften.
Unter neurobiologischen Gesichtspunkten muss man betonen, dass Kinder, die Gelegenheit hatten, die Erfahrung von Selbstwirksamkeit innerhalb von Sicherheit bietenden Beziehungsstrukturen zu machen bestens vorbereitet sind, auch auf jeden noch so bornierten Sekundarstufenunterricht, da sie mit Problemen umzugehen gelernt haben, anstatt in Angst zu erstarren, sich zurückzuziehen oder aggressiv zu werden (vgl. diesen Artikel hier, vor allem ab Seite 3).

Schöne Grüße schickt

Christian

11.02.2009 19:58 Chris McFaz ist offline Email an Chris McFaz senden Homepage von Chris McFaz Beiträge von Chris McFaz suchen Nehmen Sie Chris McFaz in Ihre Freundesliste auf
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Hier habe ich den Link einer Zuschrift an Rolf.

LG

Christian

11.02.2009 20:02 Chris McFaz ist offline Email an Chris McFaz senden Homepage von Chris McFaz Beiträge von Chris McFaz suchen Nehmen Sie Chris McFaz in Ihre Freundesliste auf
Ronja


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Hallo Christian,

danke für Artikel und Link. Das mit Peschel und dem Bildungsplan leuchtet mir jetzt schon etwas mehr ein. Trotzdem hab ich mich noch ein bißchen mehr mit den Kompetenzen und Bildungsstandards (v.a. im Deutschunterricht) befasst und hab noch ein paar Fragen: Der kompetenzorientierte Unterricht an sich ist ja trotz aller flexiblen Auslegungen nicht gerade "Offener Unterricht -freundlich", oder? (Da die Kompetenzen ja einheitliche Zielgrößen und nicht sehr auf Individualisierung aus sind?!). Was wäre denn aber, wenn man die Kompetenzen als Arbeitsperspektive betrachten würde (ich hab dazu nen Artikel von Horst Bartnitzky gelesen) - meiner Meinung nach lässt sich das viel besser mit dem O. U. vereinbaren, weil die Kompetenzen nicht als Ziele des Unterrichts verstanden werden, sondern eher aufgegriffen und weiterentwickelt/unterstützt werden sollen. Sie werden auch nicht mehr als einheitliche Zielgrößen verstanden, sondern realisieren sich bei den Kindern individuell. Und schlussendlich ermitteln sie keine Ergebnisse (Evaluierung ist nicht Bestandteil des Lernprozesses), sondern können durch Gespräche über Lernwege oder durch Formen der Leistungsdokumentation festgestellt werden (die Evaluierung ist Teil des ganzen Lernprozesses).
Was meinst du - verträgt sich diese Ansicht besser mit der Realisierung des O.U. hinsichtlich der Standards und Kompetenzen?
Und noch eine kleine Frage am Rande zu einem ganz anderen Thema: Was ist "offen" am Werkstattunterricht (nach Reichen)? (wenn man von der größtmöglichen Offenheit ausgeht) - also, die Kinder können sich das Thema/Themen einer Werkstatt selbst aussuchen, das Material/Aufgaben selbst herstellen, sich gegenseitig helfen, selbst entscheiden wann, wo und mit wem sie arbeiten, etc. - worin liegt dann aber der Unterschied zur Freiarbeit?

Grüße, Ronja

12.02.2009 19:58 Ronja ist offline Beiträge von Ronja suchen Nehmen Sie Ronja in Ihre Freundesliste auf
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Hi Ronja,

also ich sehe es mit den Kompetenzen so: Klar ist es noch lange nicht optimal wenn man Kompetenzen anstatt Lernziele vorgesetzt bekommt. Alles, was beschreibt, wo alle hin müssen ist ja einengend. Trotzdem finde ich, die Beschreibungen im BP sind derart formuliert, dass man auch Offenen Unterricht gut damit legitimieren kann. Zudem werden Ansprüche an Selbstständigkeit gestellt, die (wie Peschel schreibt) eigentlich nur ein Offener Unterricht gewährleisten kann.
Der Artikel von Bartnitzky sagt mir nichts, aber er drückt wohl in anderen Worten aus, was Peschel auch tut.
Reichens Werkstattunterricht lässt sich ja über Peschels Dimensionenmodell gut in seiner Offenheit bewerten.
Zuerst einmal ist in "Hanna hat Kino im Kopf" ja schon einmal Vorrausetzung, dass alle Kinder mit der Anlauttabelle lesen und schreiben lernen. Das ist also schon eine Einschränkung der methodischen Offenheit. Bei vielen anderen Dinge können sie dagegen den Zugang frei wählen, weshalb der Werkstattunterricht also methodisch schon ziemlich offen ist. Das Spiel kann man so mit allem durchführen, was Reichen für seinen Werkstattunterricht vorschlägt: Chefdienste, Lernwerkstätten usw.
Schließlich fragst Du nach dem Unterschied zwischen Werkstattunterricht und Freiarbeit. Für mich ist es mit der Freiarbeit leider so, dass da jeder seinen eigenen Begriff davon hat, so dass man gar nicht von "der" Freiarbeit sprechen kann. Die Montessorianer nehmen den Begriff für sich in Anspruch, aber auch an jeder Montessorischule steckt etwas anderes dahinter. Auch an Regelschulen wird ja immer wieder von Freiarbeit gesprochen. Die kann wirklich frei sein, oder einfach nur in Stationenarbeit bestehen. Leider herrscht im pädagogischen Bereich nur allzu oft Begriffsverwirrung.
So, jetzt aber ab ins Wochenende. Ein erholsames solches wünscht:

Christian

13.02.2009 13:58 Chris McFaz ist offline Email an Chris McFaz senden Homepage von Chris McFaz Beiträge von Chris McFaz suchen Nehmen Sie Chris McFaz in Ihre Freundesliste auf
Juergen
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Ich möchte ergänzen:

Es ist bei Peschel durchaus nicht so, daß 'die Kinder mit der Anlauttabelle das lesen lernen' - das ist ja die Behauptung, es gäbe irgendwie versteckt doch einen Leselehrgang: eben den mit der Anlauttabelle.
Peschel schreibt: Die gesamte Leseentwicklung basierte primär auf selbstgesteuerten Lesen, Vorlesen und Zuhören:

  • Die eigenen Texte wurden beim verschriften gelesen und zum Teil anderen Kindern in der Klasse oder im Sitzkreis vorgelesen.
  • Die in der Klasse oder zu Hause vorhandenen Bücher regten zum stillen Lesen von Geschichten und Sachinformationen an.
  • Durch die Rolle des Zuhörers in der Klasse bzw. im Kreis ergab sich für die Kinder immer wieder eine bewusste oder unbewusste Reflexion der für ein erfolgreiches Textverstehen wichtigen Vorlesekompetenz des Vortragenden
(Psechel II, S. 606)

Die Anlauttabelle ist nur eine Hilfe, nicht jedoch das beherrschende Instrument. Die Kinder können es nutzen - müssen es aber nicht. Es liegt in der Entscheidung des Kindes die Tabelle zu benutzen oder auch nicht.

Hauptsächlich lernen die Kinder durch das Vorlesen dessen was sie selbst schreiben. Es ist gewissermaßen ein 'muttersprachlicher' Ansatz - in der Freinet-Pädagogik würde man sagen: natürlicher' Ansatz. Die Kinder probieren zu lesen und schreiben. Wie beim Erlernen der Muttersprache.

Konstruktivistisch gesehen ist das Kriterium, daß man von anderen verstanden wird. Sowohl beim Sprechen als auch beim Lesen (Vorlesen).

Peschels Ansatz ist ein Paradigmenwechsel. Es geht nicht mehr um Lehren, sondern um Lernen, um das Lernen von den Kindern aus gesehen: Was wollen sie lernen und nicht: Was sollen sie lernen.

Die Diskussion über Kompetenzen kann als Messgröße herangezogen werden: Was kann ein Kinder bei Schuleintritt - was kann es nach einem Jahr, besser nach vier Jahren.

Rückfrage: Wie gut lernen denn Kinder in der Regelschule diese Kompetenzen?

Liebe Grüße

Jürgen

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Jürgen Göndör
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15.02.2009 13:43 Juergen ist offline Email an Juergen senden Homepage von Juergen Beiträge von Juergen suchen Nehmen Sie Juergen in Ihre Freundesliste auf
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Anlauttabelle Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       IP Information Zum Anfang der Seite springen

Hallo Jürgen,

ich weiß nicht, ob deine Antwort sich auf meinen vorhergehenden Post bezieht, aber da du die Anlauttabelle aufgreifst, verstehe ich es so. Ich schreibe da von Reichens Werkstattunterricht, dass im OU die Kinder auf alle möglichen Arten lesen und schreiben lernen ist unbestritten. Eine Freundin aus der FAMS in Neckargemünd meinte auf Nachfragen eben dies, dass die Kinder alle Möglichkeiten nutzen, häufig lese ein Kind und die Lernbegleiter wüssten nicht, wie es zustande gekommen sei.
Deine Rückfrage
Zitat:
Wie gut lernen denn Kinder in der Regelschule diese Kompetenzen?

ist nur mehr als berechtigt, da ist mir gleich die FAQ der Montessorischule Potsdam eingefallen, in der folgende Frage beantwortet wird:
Zitat:
Frage: Lernt mein Kind hier genug?
Unsere Antwort: Das bisherige Schulsystem in Deutschland hat international schlechte Noten bekommen. Deshalb finden die meisten von uns es erstaunlich, dass ausgerechnet unser in der Praxis erfolgreiches Reformmodell sich dafür rechtfertigen muss, vieles anders zu machen.


LG

Chris

15.02.2009 18:21 Chris McFaz ist offline Email an Chris McFaz senden Homepage von Chris McFaz Beiträge von Chris McFaz suchen Nehmen Sie Chris McFaz in Ihre Freundesliste auf
Ronja


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Hallo allerseits,

schon vorab eine kurze Verständnisfrage: Jürgen, du schreibst "Hauptsächlich lernen die Kinder durch das Vorlesen dessen was sie selbst schreiben." - wie kann ich mir das denn vorstellen? Wie sollen die Kinder (ohne Anlauttabelle) sich selbst das Lesen/Schreiben beibringen? Geht das tatsächlich ohne Instruktion?

Eine weitere Unklarheit, in deren Dunkel mir vielleicht jemand etwas Licht bringen könnte, ist die folgende: Das Konzept vom Offenen Unterricht hört sich ja gut an, allerdings konnte ich bislang nichts zum Thema Migrantenkinder (konkret die Kinder, die schwach in Erst- und Zweitsprache sind) und O. U. finden. Ist der Offene Unterricht etwa nur realisierbar für Kinder mit deutscher Muttersprache? Was macht man mit eben diesen Kindern, die möglicherweise noch nicht mal richtig Deutsch sprechen können - oder auch mit "Langsamen Lernern" (was eine Bezeichnung!), also Kindern, die mit selbstgesteuertem und autonomem Lernen überfordert sind? Ist hierfür die Konzeption "Offener Unterricht mit Methode" besser? Oder bietet sich für diese Kinder eher das traditionelle Lehrgangs-Lernen mit der Lehrerin an (was ich gerade in Bezug auf Migrantenkinder eher verneinen würde)!

Liebe Grüße, Ronja

Dieser Beitrag wurde schon 1 mal editiert, zum letzten mal von Ronja am 15.02.2009 23:12.

15.02.2009 23:11 Ronja ist offline Beiträge von Ronja suchen Nehmen Sie Ronja in Ihre Freundesliste auf
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Hi Ronja,

bei Falko Peschel nachzulesen (Band II): Kinder kommen nicht ohne jede Kenntnisse in die Schule sondern können schon vieles. Am zweiten Schultag wollte ein Kind schreiben lernen und das haben für sich alle Kinder übernommen und Buchstaben geschrieben und auch gelesen. 'Belehrt' haben sich die Kinder gegenseitig. Peschel beschreibt, daß es weder für das Lesen noch für das Schreiben Lehraktionen von Seiten des Lehrers gab, noch schriftliche oder elektronische Lehrgänge.

Die Dokumentation im Band II beschreibt den Unterricht sehr eindrücklich. Dazu gibt es noch eigene Kapitel über das Lesen lernen, das Schreiben lernen und Rechnen lernen. Alles ohne jede Instruktion.

Wenn Du diesen Band durchsiehst, sind auch Kinder mit Migrationshintergrund in der Klasse und ihr Lernweg sogar in Fallstudien beschrieben. Es war eine ganz normale Grundschulklasse mit Ausländern - noch nicht einmal eine besonders gute, ehr umgekehrt. Peschel beschreibt die Ausgangslage sehr detailliert.

Wie kann ein Kind, welches sein Lernen selbst steuert, damit überfordert sein? Es kann ja seine Lerngeschwindigkeit selbst bestimmen und auch bestimmen, was es lernen will. Das ist eine typische Frage aus dem traditionellen Unterricht, wo alle das gleiche in der gleiche Zeit und in einer vorgegebenen Geschwindigkeit lernen müssen. Da gibt es dann langsame Kinder.

Der Lernfortschritt ist auch keine Gerade, sondern eine unregelmäßige Funktion mit Abschnitten ohne große Steigung, dann aber auch mit Sprüngen und steilem Verlauf. Darauf nimmt der traditionelle Unterricht keine Rücksicht.

Daher bietet sich für das individuelle Lernen (Spitzer: Das Gehirn tut nichts lieber und kann nichts besser) eben gerade nicht der traditionelle Unterricht an, weil er die Individuellen Bedingungen ignoriert. Diese schlagen sich dann inden Noten nieder - dort wird ja 'nur' der Vergleich zum Klassendurchschnitt gemessen., nicht aber der individuelle Lernfortschritt. Eine Fallstudie ist Auszugsweise auf der Seite Offener Unterricht wiedergegeben

Zum offenen Unterricht mit Methode bitte in dem Diskussionsthread speziell zu diesem Thema nachlesen. Dort wird ausführlich erörtert.

Bitte nicht böse sein, wenn ich immer wieder auf die Peschelbände verweise - aber da steht viel in epischer Breite. Vielleicht ist auch der Vortrag von ihm interessant - kann man sich in in drei Etappen anhören.

Viele verlangen von einem abweichenden Konzept immer, daß es alle Probleme des traditionellen Schulalltags löst - ohne sich zu vergegenwärtigen, daß der traditionelle Schulalltag ganz viele Probleme erst verursacht und die auf dem Rücken der SchülerInnen löst: Via Noten und Auslese.

Sowohl die 'Unterrichtsergebnisse' von Peschel als auch die an der Grundschule Harmonie in Eitorf leigen deutlich über dem Landesdurchschnitt.

Eine Auseinandersetzung mit traditionellen Studien zum OU und ihren systematischen Fehlern ist auch auf der Seite zu finden (Forschung)

Liebe Grüße

Jürgen

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16.02.2009 20:06 Juergen ist offline Email an Juergen senden Homepage von Juergen Beiträge von Juergen suchen Nehmen Sie Juergen in Ihre Freundesliste auf
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Hallo!

Danke für die Literaturhinweise - ist wirklich hilfreich! Mir wird in der ganzen Diskussion erst so recht bewusst, wie stark ich doch von dem traditionellen Unterricht geprägt bin und wie wichtig es ist, eine neue Sichtweise zu erlangen. Es ist wirklich interessant zu erkennen, dass der O.U. schwache Schüler nicht überfordert, sondern gerade ihnen die Möglichkeit gewährt, nach eigenem Tempo zu lernen. Das war der Knackpunkt für mich. Es ist doch wirklich logisch, dass bei einer "Massenabfertigung" immer welche herausfallen - und das kann im O.U. nicht passieren.

Zum Thema Werkstattunterricht habe ich noch ein paar Fragen:
Peschel schreibt, dass Öffnung nur da vorhanden ist, wo der Schüler wirklich methodische Freiheit hat. - Ist diese methodische Freiheit nicht schon allein durch die Wahlform des Werkstattunterrichts eingeschränkt? Das ist doch eine methodische bzw. organisatorische Vorgabe.
Was konkret ist "offen" am Werkstattunterricht?

LG, Ronja

17.02.2009 12:23 Ronja ist offline Beiträge von Ronja suchen Nehmen Sie Ronja in Ihre Freundesliste auf
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Hi Ronja,

da mußte man zuerst Werkstattunterricht definieren. In der Berufsschule ist das immer eine fachliche Werkstatt, in Waldorfschulen eine Holz-, eine Gartenbau-, eine Steinmetz-, eine Schneider- und eine Hauswirtschafts Werkstatt. Neill hat seit Hellerau durch einen Lehrer (Zutt aus Wien) keine Schule mehr ohne Werkstatt gegründet.

Es gibt Schreib- und Lernwerkstätten (Freinet-Pädagogik) - dort werden Texte produziert oder es wird an Projekten gearbeitet - Lehrer stellen sich gegenseitig dort Methoden oder Modelle vor oder arbeiten mit Klassen dort.

Es ist klar, daß die Anlage der Werkstatt (Maschinen, Arbeitsplatzausstattung) eine Richtung festlegt. Bei Waldorf ist das gewollt und wird durch Praktika (Landwirtschafts-, Forstwirtschafts-, Landvermessungs-, Sozial- und Industriepraktikum) unterstützt und hat - wie bei Schulen mit Bauernhof einen hohen Grad an Lernmöglichkeiten, die dann durch die Werkstatt in der Lebenswelt der Kinder sind. (Allerdings nicht in der Grundschulzeit. So ab Klasse 7 oder 8. Bauernhof natürlich auch eher.)

Oder wird Werkstattunterricht ehr so verstanden, daß - wie in der Freinet-Pädagogik in den Atelier-Ecken - die Kinder an ihren Projekten werken können und auch die passenden Materialien vorfinden.

Bei Waldorf ist nur auf spezielle Weise offen, aber die Konzeption selbst ist offen. Die Schüler sollen Berufsfelder kennenlernen ohne sich für einen Beruf entscheiden zu müssen. (Diese Vielfalt fehlt an anderen Schulen.) Es geht um die Erfahrung der Schüler in diesem Arbeitsfeld. z.B. Forstpraktikum: Aufgaben: Sich unter einen Baum setzen und sich über seine Gefühle zu diesem Baum klar zu werden. Aber auch Bäume pflanzen, den Alltag der Waldarbeiter kennenlernen, ein Projekttagebuch zu führen ... Und den Eltern auf einem Elternabend über das gesamte Praktikum zu berichten.

Offen bei Waldorf in der Schreinerwerkstatt was in Krefeld (muß nicht überall so sein), daß es egal war, was Schüler inhaltlich bauten: Kaninchenstall, Holzlöffel, Bücherregal, CD-Ständer. Gemeinsam war immer, daß mit Holz gearbeitet wurde. Nur das erste Werkstück war für alle gleich, um die Modalitäten der Werkstatt zu erklären. Es lohnt sich wirklich am Ende des Schuljahres die Werkstücke der Praktiker anzusehen: Betten, Schreibtische usw. in Superqualität.

Hier hat die Werkstatt auch den Sinn der Begegnung mit dem Material, mit spezifischen Arbeitsmethoden. Das hat seine eigene Struktur. Wenn man Holz glatt schleift, kann man fühlen das es mit der Zeit glatter wird - das ist etwas anderes wie ein sauberes Heft führen.

Es gibt dann keine Konkurrenz um das bessere Werkstück - weil jeder was anderes macht. Es gibt aber schon Wettbewerb, weil jeder will es gut machen. Es liegt viel darin, daß die Kinder die Erfahrung machen: Ich kann das (auch wenn der Lehrer geholfen hat). Und in den verschiedenen Werkstätten auch darin: Das ist interessant und das finde ich nicht toll.

Bei Freinet werden die Atelierwerkstätten je nach Aktivität der Kinder genutzt. Ich habe die Druckwerkstatt vergessen - wo jeder zu jeder Zeit mit Vorrang vor augenblicklichen Sachen seine Texte drucken kann. Dazu gehört dann natürlich auch das Aufräumen und das Reinigung der Druckmaschine und der Buchstaben.

An der Grundschule Harmonie gibt es auch (und Peschel schreibt auch über) Führerscheine, aber nicht um sie zu sammeln, sondern um praktisch an selbstgewählten Aufgaben arbeiten zu können. Um den Handlungsspielraum eines Kindes zu vergrößern.

Ich hoffe, dieser Wortwust beschreibt so ungefähr das, was ich sagen will und hoffe das Du verstehst was ich meine.

Es gibt auch geschlossenen Werkstattunterricht, wo eben alle das gleiche Teil erstellen, was der Lehrer ausgesucht hat um irgendwelche Lehrziele abzuarbeiten. Zum Schluß gibt es eine Note. Fertig. Kann Schüler interessieren, weil sie endlich mal etwas mit ihren Händen tun können aber es fehlt die innere Verbundenheit mit dem was sie tun. Wenn sie sich entscheiden können, was sie tun wollen und das dann auch dürfen ist der Zupack ganz anders. Sie denken mit, arbeiten exakt und machen etwas neu, wenn es ihnen nicht gefällt, ...

Der Ursprung hat wohl viel mit der skandinavischen Slöjd-Bewegung zu tun. Dort gab es vor Entstehung der Manufakturen ein Konzept, welches zwar keine Handwerkerausbildung erforderte, aber auch Ungelernten mit etwas Geschick die Herstellung von Werkstücken bei wenigen Modellen in guter Qualität, mit minimalen Werkzeugeinsatz und optimalen Materialeinsatz erlaubte. Jemand der Slöjd machte, konnte vom Verkauf der Werkstücke leben, war aber gezwungen, sich immer wieder seinen Markt zu suchen - er mußte herumziehen. Die Leute, die vom Slöjd lebten genossen auch ein gutes Ansehen. Die Manufakturen zerstörten diese Tradition - sie waren billiger und besser.

Diese Tradition wurde dann für die Pädagogik entdeckt (auch von Kerschensteiner), schlug anfänglich gut ein - d.h. Schüler waren begeistert, als es aber dann flächendeckend eingesetzt wurde, verflog die Begeisterung - aus dem Besonderen wurde der übliche Schulzwang zum Lernen.

Das ist nur eine Kurzversion und meine Interpretation des Booms und des Verfalls von Slöjd. Macht aber gut den Unterschied zwischen offen und geschlossen deutlich - obwohl es ja das Gleiche war. (Zumindest fast)

Sonst frag noch mal zurück.

Liebe Grüße

Jürgen

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Jürgen Göndör
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17.02.2009 21:42 Juergen ist offline Email an Juergen senden Homepage von Juergen Beiträge von Juergen suchen Nehmen Sie Juergen in Ihre Freundesliste auf
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Hallo Jürgen,

vielen Dank für deine ausführlichen Antworten!!
Deine Ansicht von Werkstattunterricht klingt für mich sehr handwerklich. Ich habe hier gerade Reichens "Hinweise zum Werkstattunterricht" vorliegen, in denen er schreibt: "Werkstattunterricht sollte nicht an Hammer und Hobel erinnern. Das Wort meint hier Unterricht in der Art einer Werkstatt", etc. Geht Reichens Ansicht von Werkstattunterricht dann mehr in die "Lernwerkstatt-Richtung" der Freinet-Pädagogik? Ist also folglich nicht jede Werkstatt gleich einer Lernwerkstatt (nur für die begriffliche Klarheit!), obwohl man in jeder etwas lernt.
Also, um die Quintessenz aus deinen Informationen zu ziehen: Im Grunde stimmst du doch auch zu, dass jede Werkstatt eine (geschlossene) methodische Richtung vorgibt - die weitere inhaltliche und organisatorische Umsetzung allerdings, kann sehr offen, aber auch geschlossen sein - je nach Konzept, Vorhaben, Lehrerin, etc.
Und - die Slöjd-Bewegung kann man als Ursprung des Werkstattunterrichts bezeichnen? Gibt es dazu vielleicht eine Literaturempfehlung?

Lieber Gruß, Ronja

18.02.2009 11:27 Ronja ist offline Beiträge von Ronja suchen Nehmen Sie Ronja in Ihre Freundesliste auf
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Hi Ronja,

egal ob Lernwerkstatt oder Hammer&Hobel-Werkstatt - jedes noch so kreative Verfahren kann offen, geschlossen oder irgendwo zwischendrin sein. Wenn man die Bestimmungsraster von Peschel anlegt, wird das schnell deutlich.

Holzarbeiten, Metallarbeiten, Theater, ... brauchen natürlich Werkzeug, Utensilien, Maschinen, ... die für die Werkstatt dann spezifisch sind. Daraus eine 'geschlossene' methodische Richtung zu konstruieren geht zumindest an den Bestimmungsrastern vorbei. Im Band I im Kapitel 4 diskutiert das Peschel ausführlich.

"Offener Unterricht gestattet es dem Schüler, sich unter Freigabe von Raum, Zeit und Sozialform Wissen und Können innerhalb eines 'offenen Lehrplanes' an selbstgewählten Inhalten auf methodisch individuellem Weg anzueignen.

Offener Unterricht zielt im sozialen Bereich auf eine möglichst hohe Mitbestimmung des Schülers bezüglich der Infrastruktur der Klasse, der Regelfindung innerhalb der Klassengemeinschaft, sowie der gemeinsamen Gestaltung der Schulzeit ab." (Peschel, Band I, S. 55)

Das heißt natürlich auch, das materielle Voraussetzungen vorhanden sein müssen. So wie ja in der Klasse Tische und Stühle sind, finden sich auch PC, Bücher, ... . Werkstätten sind Teil davon. Ebenso wie das Schulgelände und das restliche Schulgebäude.

Literatur zu Slöjd kann ich empfehlen: Eine Dissertation (Uni Oldenburg, 1994) von Hans Joachim Reincke: Slöjd - Die schwedische Arbeitserziehung in der interantionalen Reformpädagogik, Peter Lang Verlag, FfM, 1995, ISBN: 3-631-47827-5

Liebe Grüße

Jürgen

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Jürgen Göndör
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21.02.2009 12:56 Juergen ist offline Email an Juergen senden Homepage von Juergen Beiträge von Juergen suchen Nehmen Sie Juergen in Ihre Freundesliste auf
Ronja


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Hallo Jürgen,

danke erstmal für die Literaturempfehlung.
Mich beschäftigt gerade die Frage der Leistungsbewertung im Werkstattunterricht. Angenommen es ist keine Reformschule, sondern eine "normale" staatliche Schule, die das Konzept des Werkstattunterrichts umsetzt - hier müssen doch am Ende des Schuljahrs Ziffern-Noten vorliegen und Klassenarbeiten geschrieben werden. Ist ein durchgehender Werkstatt-U. dann überhaupt in einer "Nicht-Reformschule" realisierbar? Ich habe gerade ein Buch von Werner Wiater, Elisabeth Dalla Torre und Jürgen Müller gelesen (Werkstattunterricht - Theorie, Praxis, Evaluation) - diese Autoren schreiben, dass mehrere Untersuchungen ergeben haben, dass "Offener Unterricht - und damit auch der Werkstattunterricht - seine positiven Lern- und Verhaltenseffekte nur in Verbindung mit lehrergesteuertem lehrgangsorientiertem Unterricht entfalten kann."
Das hat mich irgendwie irritiert, weil ich die ganze Zeit dachte, dass das der eigentlichen Idee von O.U. widerspricht? Oder sehe ich das alles zu eng? Natürlich gibt es auch angeleitete Elemente, das ist mir klar, aber das Zitat und weitere Stellen im Buch laufen darauf hinaus, dass das Verhältnis von O.U (Werkstatt-U.) und lehrergesteuertem U. 3:1 oder sogar 4:1 sein sollte und realistisch ist.

LG, Ronja

22.02.2009 17:18 Ronja ist offline Beiträge von Ronja suchen Nehmen Sie Ronja in Ihre Freundesliste auf
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Hallo Ronja,

nach einem PC-Defekt mag ich mich auch wieder mal melden.
Mir fiel auf, dass du immer noch nicht gesagt hast, welche Art von Werkstattunterricht du meinst.
Zur Zwangsbenotung: Grundsätzlich denke ich, ist es doch in der Grundschule so, dass du sehr große Freiheiten bei der Notenvergabe hast. Du könntest etwa die Produkte des Werkstattunterrichts zur Basis deiner Benotung machen. Du könntest mit den Kindern Lerngespräche führen, in denen du mit ihnen gemeinsam ermittelst, was sie schon können. Die Möglichkeiten sind vielfältig und wenn du nicht mehr unterrichten musst, bleibt dir sehr viel Zeit für Beobachtung und Dokumentation, so dass du ein viel realistischeres Bild der Kinder bekommen kannst, als durch Klassenarbeiten und dergleichen.

Was Bücher wie das von dir Erwähnte angeht, so ist es eigentlich immer so, dass der Unterricht, der darin als offener verkauft wird, vor dem Hintergrund von Peschels Dimensionenmodell sich rasch als höchstens geöffneter herausstellt. Es gibt dazu im Gutachten von Hans Brügelmann zum Genehmigungsverfahren der Freien Montessorischule Neuss einige interessante Passagen, z.B.
Zitat:
Anspruchvollere Formen, wie sie die AntragstellerInnen planen, werden nur von 5-10%
der LehrerInnen genannt und das zudem nur in dem begrenztem Umfang „mindestens
einmal pro Tag“.

Hierbei handelt es sich um eine Kombination von Montessori- und Freineitmethoden, also auch noch keine umfassende Öffnung!!
Ich erinnere mich aber, ein ähnliches Buch gelesen zu haben und wenn es mir in die Hände fällt, will ich schreiben, welches es war und ich erinnere mich, dass mich die Aussagen darin ebenfalls verstört haben.
Der Standpunkt der Autoren ist aber ein didaktischer, kein mathetischer, es handelt sich um ein Festhalten an und perfektionieren-wollen von klassischen Schulsituationen. Es wird versucht, den Anforderungen der Postmoderne mit leicht modifizierten Konzepten entgegenzutreten.
Dass der Satz
Zitat:
Offener Unterricht - und damit auch der Werkstattunterricht - seine positiven Lern- und Verhaltenseffekte nur in Verbindung mit lehrergesteuertem lehrgangsorientiertem Unterricht entfalten kann.
nicht stimmt beweisen die Arbeit von Peschel und vielen weiteren, die den Mut hatten, Schule wirklich anders zu denken.

Viele Grüße

Christian

23.02.2009 11:39 Chris McFaz ist offline Email an Chris McFaz senden Homepage von Chris McFaz Beiträge von Chris McFaz suchen Nehmen Sie Chris McFaz in Ihre Freundesliste auf
Juergen
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Hi Ronja,

vieles hat ja schon Chris geantwortet.

zu dem Buch von Werner Wiater, Elisabeth Dalla Torre und Jürgen Müller gelesen (Werkstattunterricht - Theorie, Praxis, Evaluation) - das kenne ich leider nicht.

Allerdings vertritt Eiko Jürgens einen ganz ähnlichen Standpunkt. Ich habe dazu eine Rezension geschrieben:
http://offener-unterricht.net/ou/start-o...p?action=litrez
(Kurz- und Langfassung)

in der ich mich ausführlich damit auseinandersetze, dass angeblich "Offener Unterricht - und damit auch der Werkstattunterricht - seine positiven Lern- und Verhaltenseffekte nur in Verbindung mit lehrergesteuertem lehrgangsorientiertem Unterricht entfalten kann."

Das ist natürlich Humbug. Didaktisch geschulte Menschen, die nur die Regelschule kennen können sich Unterricht und Schule überhaupt nur als Unterweisung vorstellen. Und die Praxis gibt ihnen ja Recht: Wenn sie plötzlich ihre Schüler nach zig Jahren mitbestimmen lassen, dann können die das natürlich nicht - sie sind es nicht gewohnt.

Peschels Klasse war eine erste Klasse und er hat ja auch schon vorher mit den Eltern und den Kindern Kontakt aufgenommen.

Der Plan gleich als ganze Schule mit allen Klassen zu starten halte ich für sehr mutig, wenn auch nicht für abartig. Für 4. Klässler, die bisher an 'normalen' Schulen waren, kann ich mir vorstellen, daß es schwierig wird. Ich habe da aber auch Vertrauen zu Falko - der wird sich schon was einfallen lassen.

Schule ist ein Ort, an dem Schüler was beigebracht wird, über das sie keine Mitbestimmung haben, wo auch das wie vorgeschrieben ist, wo auch vorgeschrieben wird, wo und neben wem sie sitzen (dürfen oder nicht sitzen dürfen), ob sie austreten gehen dürfen, wann sie was essen und trinken dürfen, .....

Schnupper mal auf der Artikelseite der Grundschule Harmonie herum
http://grundschule-harmonie.de/
> Artikel > Förderkonzept und so - da gibt es so manches, was Regelschullehrern die Haare zu Berge stehen lässt.

In seinem spannenden Buch 'Kinderrepubliken' (Diss) hat Johannes Kamp gesagt: Demokratie mit Kindern geht nur, wenn das die Erwachsenen wirklich unbedingt wollen. und: Kinder haben keine Chance, wenn Erwachsene irgendwelche Ziele verfolgen, diese Ziele zu verhindern.

Wenn also Lehrer, die ihre Idendität daraus ziehen, Kindern etwas zu erklären, Kindern etwas schmackhaft zu machen, ihnen etwas beizubringen, wie kann man dann erwarten, daß die von jetzt auf dann darauf verzichten??

Sie sind zwar sehr unzufrieden mit der Schule und den Bedingungen, unter denen sie Unterricht machen müssen und klagen über das Desinteresse der Schüler - aber der Schritt zu sehen, daß sie selbst Teil der Ursache dieses Desinteresses sind und das Schule als System (in dem sie arbeiten, sie sanktioniert wenn sie nicht funktionieren und entlohnt wenn sie das System stützen und befördert, wenn sie sich im System bewährt haben) der andere Teil der Ursache sein soll, das ist denke ich wirklich etwas viel verlangt.

Liebe Grüße

Jürgen

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02.03.2009 05:38 Juergen ist offline Email an Juergen senden Homepage von Juergen Beiträge von Juergen suchen Nehmen Sie Juergen in Ihre Freundesliste auf
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