PAED.COM (http://www.paed.com/wbboard/index.php)
- Reformpädagogik (http://www.paed.com/wbboard/board.php?boardid=4)
-- offener Unterricht (http://www.paed.com/wbboard/board.php?boardid=22)
--- Praktisches Umsetzungskonzept z.H. kritischer Leserschaft (http://www.paed.com/wbboard/threadid.php?threadid=292)


Geschrieben von esteban am 27.11.2010 um 14:13:

Praktisches Umsetzungskonzept z.H. kritischer Leserschaft

Hallo zusammen

Ich bin im letzten Semester des Primarlehrerstudiums und beschäftige mich schon eine ganze Weile mit Konzepten offenen Unterrichts. Ich bin unendlich froh, dass Falko Peschel der Diskussion um "was ist offener Unterricht" eine entscheidenden Impuls gegeben hat.

Sehr gerne würde ich nach Falkos Konzept arbeiten. Ob es klappt, steht in den Sternen der zuständigen Schulbehörden. Diese müssen das Unterrichtskonzept absegnen. Genau daran bin ich im Moment. Ein Konzept zu entwickeln, wie ich offenes Lernen unter den inhaltlich-strukturellen Bedingungen unserer Lehrplans und unseres Schulgesetztes umzusetzen gedenke. Mir ist dabei wichtig, dass ich den offenen Unterricht im Rahmen der öffentlichen Volksschule durchführen kann. Privatschulen sind für mich persönlich keine Alternative.

Es geht nicht darum eine Abhandlung über Falko und seinen Unterricht zu schreiben, sonder kompakt aufzuzeigen, wie das Konzept umgesetzt werden soll, wie mit den obligatorischen vergleichenden "Leistungstests" umgegangen wird, wie das Lernen der Kinder dokumentiert und auf die Bedingungen des Lehrplans fokkusiert werden soll, wie die Elternarbeit angegangen wird, wie die Finanzierung der Infrastruktur angegangen wird etc. Dies auf maximal 5-8 Seiten A4. Vielleicht hat bereits jemand hier so etwas z.H. einer eher kritisch-suspekten Leserschaft (z.B. Schulbehörden / Eltern) geschrieben?

Ein weiteres "Problem"
Teil des Fächerkanons sind dabei auch Französisch, Musik und Sport. Vor allem bzgl. des Französisch-Unterrichts habe ich eine gewisse Erklärungsnot. Wir sind verpflichtet mit einem bestimmten Lehrmittel zu arbeiten. Dieses ist zwar wirklich toll und orientiert sich an konstruktivistischer Lenrtheorie und an der Mehrsprachigkeitsdidaktik. Trotzdem sehe ich kaum, wie in diesem Bereich die Modellfunktion der Lehrperson ersett werden könnte.

Notfalls muss ich diese Notlage gegenüber meinen zukünftigen Schülerinnen und Schülern halt transparent machen und auf übergeordnete Mächte verweisen. Aber bevor ich dies tue: Hat vielleicht jemand weiterführende konkrete Ansätze, wie offenes Lernen im Rahmen des Fremdsprachunterrichts umgesetzt werden kann? Ähnlich verhält es sich auch mit Musik. Und auch die Lehrplanziele im Bereich "Sport" sind fast nur mit einer erhöhten Lehrerzentrierung zu erreichen.

Soweit meine erste Wortmeldung in diesem Forum... d.h. fast:
Gibt es eigentlich aktuelle (2008 / 2009/ 2010) Forschungsergebnisse bzw. Evaluationen zu offenem Unterricht a la Peschel?

__________________
Stefan


Geschrieben von esteban am 30.11.2010 um 14:52:

Mittlerweile...

...habe ich ein solches Konzept in die Tasten gehauen.

Womit mir aber gedient wäre: Hat jemand die fachdidaktischen Überlegungen von Falko in pragmatischer Kürze zusammengefasst?

__________________
Stefan


Geschrieben von Juergen am 07.12.2010 um 17:58:

Hi Esteban,

zu Deinem Konzept: Peschel hat diesen beschriebenen Offenen Unterricht (in der Evaluation) an einer staatlichen Schule, einer öffentlichen Grundschule, entwickelt und durchgeführt.

Ebenso ist die Grundschule Harmonie, die seit Jahren dem freien Lernen der Kinder den Vorrang gibt und an der Falko Peschel Konrektor war (nach seiner Dissertation) eine 'stink normale' Grundschule, d.h. staatlich mit zuständiger Schulbehörde und normalem Lehrplan.

In sofern ist seine Dissertation eine sehr kompakte Darstellung, wie Offener Unterricht, incl. der Elternarbeit, an so einer ganz normalen Grundschule laufen kann.
http://astore.amazon.de/offener-unterricht-21/detail/3834001368

An diesen Grundschulen wird z.B. auch Englisch unterrichtet - nach offenen Prinzipien. Walter Hövel schreibt: An den meisten Schulen wird eine Fremdsprache nicht unterrichtet, damit die Schüler sie für sich anwenden können, sondern damit Klassenarbeiten geschrieben werden können. Auf der Seite des Offenen Unterrichts findet sich auch das Konzept dieses Fremdsprachenunterrichts.
http://offener-unterricht.net/ou/start-offu.php?action=praenglisch

"...wie das Lernen der Kinder dokumentiert und auf die Bedingungen des Lehrplans fokussiert werden soll.." - genau das ist ja NICHT das Konzept des Offenen Unterrichts. Das Lernen der Kinder wird eben NICHT auf den Lehrplan fokussiert, sondern die Kinder lernen wirklich genau das, was sie selbst wirklich interessiert - und nicht das, was irgendwo in einem Lehrplan steht.

Und - wenn man dann nachsieht, was denn in dem Lehrplan steht und was die Kinder gelernt haben, stellt man verblüfft fest, die Kinder haben viel mehr gelernt wie das, was der Lehrplan vorschreibt. Und das, obwohl ihnen nie gesagt wurde, was sie lernen sollen oder sollten.

Mir ist auch nicht ganz klar, was Du mit "die Modellfunktion der Lehrperson ersetzt" meinst. Mir ist nicht vorstellbar, wie Offener Unterricht sozusagen als Selbstläufer funktionieren soll.

Zu den Forschungsergebnissen zu einem Unterricht a la Peschel muss ich leider enttäuschen - es gibt kaum Unterricht a la Peschel. Wenn man die Bestimmungsraster anlegt, stellt man immer wieder fest, das der als 'offen' bezeichnete Unterricht gar nicht so offen ist.

Aber lege dieses Raster doch mal an das, was Du geschrieben hast an - ich bin gespannt, was Du herausfindest. Vielleicht kannst Du Dein Konzept ja mal hier vorstellen oder an mich mailen?

Liebe Grüße

Jürgen

__________________
Jürgen Göndör
service@paed.com
http://paed.com


Geschrieben von esteban am 08.12.2010 um 15:34:

Modellfunktion etc..

Hallo Jürgen

Gerne stelle ich das Konzept hier ein. Ich muss damit allerdings warten, bis es bewertet wurde (im Studium). Erst danach darf ichs veröffentlichen. Allerdings ist es eben ein eher subversives Konzept. Möchte ich von der öffentlichen Schule mein Unterrichtskonzet bewilligt bekommen, ist es nicht wirklich ratsam, sich auf die (berechtigte, grundlegend notwendige) Radikalität des OU zu konzentrieren. Vielmehr geht es darum, Menschen, Behörden, welche sich einen solchen Unterricht kaum wirklich vorstellen können, die Sicherheit zu geben, dass auch OU Unterricht ist.


Ich hab grad auch nicht soooo viel Zeit, trotzdem:
Evtl. gibt es ein Begrifflichkeitsproblem: Lehrplan ist bei uns hier so etwas wie bei euch die "Bildungsstandards" oder so.. sprich: das vom Ministerium verabschiedete Rahmenprogramm, an das sich alle Schulen, auch private, halten müssen. Dieses ist kompetenzorientiert und enthält lediglich Vorschläge zu inhaltlichen Gestaltung.

Will ich hier OU realisieren, muss ich die entsprechenden Stellen davon überzeugen, dass sich auch OU im Bereich dieses "Lehrplans" bewegt. Ich gehe dabei allerdings davon aus, dass ich in jedem Fall Kompromisse eingehen muss. Ich hoffe aber stark darauf, dass in diesem Forum nicht die dogmatische Haltung besteht, dass Lehrpersonen das Konzept von Peschel nur zu 100% in aller Konsequenz zu übernehmen haben....

Persönlich bin ich der Meinung, dass einiges an Kompromissen möglich ist, solange man diese transparent macht und in der Lerngruppe thematisiert. Ich brauche wohl kaum zu betonen, dass Kinder auch in diesem Punkt ernstgenommen sein wollen. Wenn sie in die Schule kommen, ist es ihnen bereits klar: Es gibt sie eben, die übergeordneten Regelwerke und Rahmenbedingungen. Diese Grenzen transparent zu machen und mit den Kindern bereit zu sein, diese auszureizen, evtl. auch einmal zu sprengen, immer aber zu hinterfragen, dass ist nicht die unbedeutenste Aufgabe einer Lehrperson.

Modellfunktion der Lehrperson

Das best mögliche Szenario in einem lehrerzentrierten Unterricht (dazu zähle ich ganz im Sinne Peschels auch den materialzentrierten so genannt offenen Unterricht) sieht für mich so aus:
Die Lehrperson ist authentisch und ernsthaft an den Kindern interessiert. Sie will und versucht die Kinder für Themen und Inhalte, für Problemstellungen und Sachfragen zu interessieren und zu motivieren. Die Lehrperson lebt dabei ein gewisses Modell vor, das die Kinder dann evtl. übernehmen. (Natürlich ist es bedauerlich, dass ein solcher Unterricht davon ausgeht, dass Kinder diese Motivationsspritze überhaupt brauchen. Das Vertrauen in die Kinder ist jedenfalls nicht die Basis solchen Denkens.)

Denoch ist es so, dass die Kinder auch das, was wir gerne als innere, eigene oder intrinsische Motivation bezeichnen, immer in einem Spannungsverhältnis mit ihrer Lebenswelt entwickeln. Das spannende am OU ist ja gerade, dass er den Kindern die Chance gibt, sich an den verschiedensten Impulsgeber/innen zu orientieren. Ein Kind gibt sich mit den 10er Zahlen ab, weil es einem anderen Kind dabei zugesehen hat und dies nun auch selber ausprobieren möchte. Ein anderes schreibt eine eigene Geschichte, weil es im Kreis inspiriert wurde, von der Geschichte eines anderen Kindes, oder auch von der sozialen Anerkennung, welche jenes Kind für seine Geschichte erfahren durfte. Die Bandbreite von möglichen Modellen die ein Kind gerne nachahmen möchte und von Inputs die es erfahren kann, erweitert sich so also auf die ganze Lerngruppe und sogar darüber hinaus (wenn auch noch externe Experten/innen in die Schule kommen). In diesem Sinne verschiebt sich also die "Modellfunktion", vielleicht besser die "Motivierungsfunktion" der Lehrperson auf die ganze "Lerngruppe". Dass auch im OU die Lehrperson eine Modellfunktion hat, zumindestens auf der Ebene der basisdemokratischen Handlungsweisen und in ihrem Sozialverhalten, ist gegeben.

Ich hoffe, ich habe Peschels Konzept nicht total missverstanden :-)

Danke für den Link zum Englischunterricht. Den hatte ich tatsächlich übersehen... :-)

__________________
Stefan


Geschrieben von Juergen am 10.12.2010 um 09:44:

Hi Esteban,
aus welchem Land schreibst Du denn?:

>> Lehrplan ist bei uns hier so etwas wie bei euch die "Bildungsstandards" oder so.

Ich schreibe aus Deutschland (NRW) und Peschel hat seinen Offenen Unterricht an einer Schule in Troisdorf durchgeführt.

Es geht nicht darum die Position Peschels zu 100 % in aller Konsequenz zu übernehmen, aber es geht schon darum, genau hinzusehen, wer denn mit den 'Behörden' oder mit dem 'Ministerium' gemeint ist, wenn es um den OU geht und welche Kompromisse geschlossen werden sollen.

Noch einmal: Offener Unterricht ist hier in Deutschland an einer öffentlichen Grundschule entwickelt und durchgeführt worden. Ebenso ist die bereits erwähnte Grundschule Harmonie eine öffentliche Grundschule. Offener Unterricht bewegt sich also zu 100 % im Rahmen der allgemein gültigen Vorgaben. Nach ihrer Grundschulzeit gehen die Kinder an weiterführende Schulen in Deutschland: Gymnasien, Realschulen und Hauptschulen.

Das Modell des Nachahmens welches Du vorstellst bleibt meiner Meinung nach hinter dem zurück, was Kinder im Offenen Unterricht erleben: Sie können ihre Welt selbst entdecken und es selbst in die Hand nehmen, was sie jetzt tun wollen. Es ist also nicht nur ein NACHahmen von Vorbildern sondern das eigenständige erfinden, erforschen, ... der eigenen Lebenswelt. Aber vielleicht verstehe ich Dich da nicht gut genug?

Liebe Grüße

Jürgen

__________________
Jürgen Göndör
service@paed.com
http://paed.com


Geschrieben von esteban am 10.12.2010 um 13:52:

Ich schreibe aus eben jener Schweiz, die eben entschieden hat, straffällig gewordene Mitbürger/innenn nichtschweizerischer Herkunft abzuschieben...

Ja, ich denke wir sind da grundsätzlich einer Meinung. Ist immer etwas beschwerlich, sich in einem Formum zuerst einmal über ein gemeinsames Begriffsverständnis zu verständigen...

bzgl. der Nachahmung ist auch alles klar. OU ist natürlich mehr als das, nur - ich weiss nicht wies dir geht - für mich ist es erschrekend, dass in der Diskussion, selbst mit dem OU aufgeschlossenen Kolleg/innen, die kooperative, soziale Dimension, bzw. das darin enthaltene Potential nicht wirklich wahrgenommen wird. Ich sehe da auch bei Peschel - oder hab ichs überlesen - noch etwas Brachland in der Analyse der Nachhaltigkeit seines Unterrichtskonzeptes. Kinder kommen nicht nur als selbstbewusste, unabhängige und kompetente Individualisten aus dem Unterricht. Die Empathiefähigkeit und das Bewusstsein, als Individuum für die ganze Gemeinschaft Mitverantwortung zu tragen und vielleicht manchmal durch Zurücktretten von eigenen Interessen die ganze Gruppe vorwärts zu bringen... Klar allerdings auch, dass diese Konsequenz aus dem Unterricht nicht bei allen und überall Freude auslöst. Was würde dann aus den gesellschaftlichen Machtstrukturen, wenn wirklich massenhaft gesellschaftsmündige Menschen aus der Schule hervorgingen.. nicht auszudenken!

Bei uns gibt es meines Wissens nur Stephan Wehrli (offenes-lernen.ch) der OU im Sinne Peschels im Rahmen der öffentlichen Volksschule macht. Ich habe bei ihm hospitiert. Er muss Kompromisse machen, ganz klar. Ich denke aber, er hat das gut gelöst im Austausch mit der Lerngruppe. Sie wissen z.B, weshalb sie sich mit dem Zahlenbuch beschäftigen müssen. Nicht, dass sie gezwungen wären damit zu arbeiten und so Rechnen zu lernen. Sie sollten sich aber innert zwei Jahren so damit beschäftigen, dass sie mit der Struktur und den Übungsformaten dieses Lehrwerks vertraut werden. Wie gesagt: Nehme ich die Kinder wirklich ernst, kann ich mit ihnen auch über solche "Ausnahmen" verständigen.

__________________
Stefan

Powered by: Burning Board Lite 1.0.2 © 2001-2004 WoltLab GmbH