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Otto Rühle

Otto Rühle (geb. 23.10.1874) wird als junger Lehrer rasch wegen sozialistischer und freidenkerischer Tätigkeit entlassen und wird sozialdemokratischer Redakteur und Partei-Wanderlehrer, Landtagsabgeordneter, Reichstagsabgeordneter und Schulspezialist der SPD sowie der bedeutendste Unterstützer der Arbeiterjugendbewegung im Dresdner Raum.

1910 zieht Otto Rühle von Halle nach Dresden. Von 1914 - 1917 ist Otto Rühle, Reichstagsabgeordneter und wohnt in der Gartenstadt Hellerau.

Er stimmte im Reichstag 1915 zusammen mit Karl Liebknecht als einziger gegen die Kriegskredite. Seine Kriegs­gegnerschaft brachte den Hinterbänkler in die große Politik: er wurde enger Mitarbeiter Karl Liebknechts, Mitbegründer des Spartakusbundes (zeitweise Vorsitz) und der KPD (Sprecher der linksradikalen Mehrheit), nach dem Ausschluß Mitbegründer der linksradikalen KAPD, dann der syndikalistischen AAUE, wobei er eng zusammenarbeitete mit dem Kreis um die Zeitung Die Aktion. Als zeitweiliger Vorsitzender des Dresdner Arbeiter-und Soldatenrates setzte er den sächsischen König ab. Nach heftigem Streit mit Lenin in Moskau 1920 war er striktester Gegner der bolschewistischen Parteidiktatur, er forderte eine Arbeiterdemokratie durch in Betrieben frei gewählte Räte und wurde der bedeutendste deutsche Rätekommunist.

1917 zieht er mit Familie nach Mulda bei Freiberg im Erzgebirge, wo das Ehepaar Rühle 1918 - 1920 ein IAH-Heim auf­baut, und später wieder nach Buchholz-Friedewalde im Norden Dresdens.

Nach dem Tod seiner ersten Ehefrau Johanna 1920 lernt er 1921 die 20 Jahre jüngere Individualpsychologin Alice Gerstel kennen, sie heirateten 1923. Alice Rühle-Gerstel bringt einen Teil ihres Vermögens in den gemeinsam gegründeten Selbstverlag 'Am anderen Ufer' ein, in dem dann ihre Werke sowie ihre pädagogischen Zeitschriften Am anderen Ufer (1924/1925) und Das proletarische Kind (1925/1926) erschienen.

Aus Ottos Marxismus und Alices In­di­vi­dual­psy­cho­lo­gie entwickelen sie gemeinsam eine marxistische In­di­vi­dual­psy­cho­lo­gie (Adlermarxismus). Nach Abklingen der revolutionären Bewegung wandelt sich O. Rühle in der ersten Hälfte der 20er Jahre vom Politiker zum Publizisten, Soziologen und Sozialpädagogen.

Otto Rühle unterhält enge Beziehungen zur anarchistischen Arbeiter- und Jugendbewegung, auch zu Ernst Friedrichs Freier Jugend: 'An die 'Freie Jugend' schlossen sich Rühles 'Proletarische Kindergruppen' an. Mit diesen konkreten Ansätzen einer anarchistischen Kinder- und Jugendpädagogik steht Rühle fast allein. Lediglich Francesco Ferrer, der spanische Begründer einer nichtautoritären Schulpädagogik, ist ihm zur Seite zu stellen.' (Lutz v. Werder / Reinhart Wolff, Nachwort zu Rühle 1975: 228)

Und obwohl die Rühles Kinderrepubliken ausdrücklich fordern, berichten sie zwar über die Kinderrepublik von Paul Felix Lazarsfeld und Ludwig Wagner, aber über keine andere. Vgl.: Gemeinschaftserziehung durch Er­zie­hungs­ge­mein­schaf­ten, in: Das Proletarische Kind (2.1926, 1: 8 ff.); Sofie Lazarsfeld: Familienerziehung oder Gemeinschaftserziehung (ebd: 13 ff.). Die Rühles erwähnten Neill in ihren beiden Zeitschriften ebenfalls nicht. Neill erwähnt ihn nicht (weder 1923a noch 1982), ebensowenig die Biographen Hemmings (1972) und Croall (1984). Die einzig nachweisbare Verbindung ist Max Nitzsche, der Schulleiter der (Reform-) Volksschule Hellerau, der 1922 auch Mitglied des Aufsichtsrats der Neuen Schule AG war (zu der Neills Ausländerabteilung gehörte) und der auch in Rühles Zeitschrift Das proletarische Kind schrieb.

Als ihnen klar wird, daß Deutschland faschistisch wird, emigrieren die Rühles schon 1932, zunächst nach Prag, dann 1935/1936 nach Mexiko. Dort wird Otto Rühle 1936 Sekretär des Ausschusses zur Prüfung der in den Moskauer Schauprozessen erhobenen Anschuldigungen gegen Trotzki (Vorsitz: der Reformpädagoge John Dewey) und kommt dadurch - trotz weiterbestehender grundlegender Meinungsverschiedenheiten - in engen freundschaftlichen Kontakt zu Leo Trotzki, dem 1940 vom sowjetischen Geheimdienst ermordeten Organisator der russischen Oktoberrevolution und der Roten Armee.

Am 24.6.1943, als Otto Rühle an Herzschlag starb, nahm sich Alice Rühle das Leben.

Rühles Argumentation wurde von Otto Felix Kanitz (in der österreichischen sozialdemokratischen Kinderfreunde- und Falken-Bewegung) weitergeführt und gelangte auf diesem Wege gegen Ende der 20er Jahre auch in die deutsche Kinderfreunde- und Falkenbewegungvon Kurt Löwenstein mit ihren riesigen Sommerzeltlager- Kinderrepubliken. Kanitz war ebenfalls ein für die antiautoritäre Bewegung der 60er Jahre wesentlicher Pädagoge.